Der Fluch der Makaá
Makaá waren zwar tapfer, aber es wäre mir neu, wenn sie gegen Löwen gekämpft hätten.“
„Wir brauchen also ein Tier und einen regionalen Bezug“, überlegte Robert laut. Plötzlich, als wäre ihm ein Gedanke gekommen, wühlte er wieder in dem Rucksack und zog die Reisebroschüre heraus, die mittlerweile schon ein wenig zerfleddert war. Hastig blätterte er darin herum, bis er die richtige Seite gefunden hatte. Mit dem Finger suchte er dann nach unserer Position und fuhr die einzelnen Orte in der Umgebung ab. Dann folgte er dem Flusslauf, auf dem wir uns gerade befanden. „Dieser Fluss führt zum Rio Carrao“, sagte er schließlich. „Und der Rio Carrao fließt direkt durch Canaima hindurch.“ Ein Blick in Mateos Gesicht verriet, dass Robert kurz davor war, das Rätsel zu lösen. Mein Bruder schlug im Verzeichnis Canaima nach und überflog die Informationen, die das Heft über den Nationalpark gab. „Das ist es!“, rief er plötzlich und hielt Oliver und mir das Prospekt entgegen. Ich las Folgendes: „… sehr beliebt in Canaima sind die Wasserfälle, die am Ostufer des Rio Carrao liegen. Nach der Überquerung der Lagune und einer kurzen Wanderung erreicht man den Salto Sapo, den man auf einem gebahnten Pfad unterqueren kann. Trockenen Fußes jedoch gelangt niemand durch die Froschwasserfälle … Die Froschwasserfälle – sind sie unser Ziel?“
Mateo strahlte zufrieden und nickte. „Na bitte, ihr habt es ja doch selbst herausbekommen. Die Froschwasserfälle sind Teil einiger Ausläufer eines Tafelberges, deshalb war Roberts Idee immerhin halb richtig. Am liebsten hätten wir uns gegenseitig auf die Schultern geklopft, ließen es aber sein, da wir genau wussten, dass wir selbst nie darauf gekommen wären. Zumal das Zeichen überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem Frosch hatte! Oliver schien dasselbe zu denken. Er ließ sich von Robert die Skizze geben und betrachtete sie lange und sehr nachdenklich, stellte sie auf den Kopf und drehte sie zur Seite.
„Tut mir leid“, seufzte er schließlich, „aber für mich sieht das nicht aus wie ein Frosch. Es ist nicht grün und wo sind überhaupt die Augen?“
„Es ist kein ganzer Frosch, den ihr da seht“, erklärte Mateo. „Es ist nur ein Teil von ihm, und zwar der Kopf. Außerdem – wer hat dir denn gesagt, dass ein Frosch grün sein muss?“ Verwundert schüttelte er den Kopf und nahm unsere entgeisterten Gesichter gar nicht wahr. „Frösche haben viele Farben: es gibt gelbe, rote, braune, bunt gemusterte…“
„Mateo“, unterbrach ich den Indianer hastig, um ihn wieder auf das Wesentliche zu lenken. „Du willst uns doch nicht etwa weismachen, dass die Makaá sich den Schädel eines toten Frosches auf die Arme tätowiert haben? – Wieso?“ Es war eine so absurde und abartige Vorstellung für mich, dass ich mir darauf absolut keinen Reim machen konnte. Wie widerlich! Uah! Doch das, was Mateo darauf entgegnete, schockierte mich noch mehr: „Wer hat denn gesagt, dass es der Kopf eines toten Frosches ist?“ Zuerst dachten wir alle, es wäre ein Scherz, doch das Lachen blieb uns im Halse stecken, als Mateo weiter sprach: „Venezuela ist die Heimat vieler Lebewesen. Die meisten von ihnen sind in diversen Biologiebüchern vermerkt. Im 18. Jahrhundert kam ein großer Naturforscher nach Südamerika: Alexander von Humboldt. Ein Landsmann von euch. Eineinhalb Jahre lang erforschte er bei uns die Pflanzen- und die Tierwelt. Mit seinem Freund, dem Botaniker Aimé Bonplant, unternahm er zahlreiche Urwaldtouren, studierte die Lebensweise der Indígenas und fühlte sich in der Tropenwelt wie in seinem Element. Er hat vieles vermessen, entdeckt und erforscht und es für die Nachwelt akribisch genau festgehalten. Vor und nach ihm kamen viele Naturforscher in unser Land, doch keiner hat so viel Wissen aus Mutter Erde geschöpft wie der Baron von Humboldt. Doch auch wenn er bis zum heutigen Tage verehrt wird – und das zu recht – so gibt es noch immer Geheimnisse in Venezuela, die selbst vor ihm verborgen geblieben sind. Eines davon ist die Legende des einäugigen Frosches.“
„Des einäugigen Frosches?“ „Nun ja“, meinte Mateo achselzuckend, „wie viele Augen erkennt ihr denn in dem Symbol?“
„Keins!“
„Ach kommt schon, jetzt nehmt ihr mich aber auf den Arm“, lachte Mateo. „Sagt bloß, ihr habt noch nicht bemerkt, dass der rote Kreis in der Mitte das Auge des Frosches ist.“
„Das muss uns wohl entgangen sein“, bemerkte ich
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