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Der Fluch der Maorifrau

Der Fluch der Maorifrau

Titel: Der Fluch der Maorifrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Walden
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verließ das Haus. Anna aber kämpfte mit sich. Sollte sie Zeugin dessen werden, was nun geschah, oder sich dem süßen Gedanken an ein Kind hingeben und sich die Bettdecke über den Kopf ziehen? Sie hatte ein ungutes Gefühl. Dass das Mädchen ihn rief, um sich mit ihm im Sand zu vereinen, schien Anna nach allem, was sie mit angesehen hatte, ziemlich unwahrscheinlich.
    Anna warf die Bettdecke mit einem Schwung zur Seite. Ihre Neugier war übermächtig. Sie musste wissen, was da vorging. Schon stand sie im Nachthemd und auf bloßen Füßen auf der Straße. Vorsichtig blickte sie sich zu beiden Seiten um. Ganz hinten, wo die Häuser aufhörten, sah sie die beiden eilig in der Dunkelheit verschwinden. Anna seufzte. Sie wusste, wohin sie gehen würden. Noch konnte sie umkehren, aber ihre Füße setzten sich wie von selbst in Bewegung. Dieses Mal hatte sie keine Angst, sich in der Nacht zu verirren. Sie kannte den Platz, an dem die beiden sich trafen, und würde ihn blind wiederfinden.
    In einigem Abstand folgte sie Christian und Hine, bis vor ihr das Meer im Mondschein glitzerte. Jetzt muss ich vorsichtiger sein, dachte Anna, wenn ich nicht entdeckt werden will. Sie duckte sich und überlegte, wie sie ungesehen zu den Booten kommen sollte.
    Anna robbte schließlich dorthin. Sie hatte recht gehabt. Hine zog Christian genau zu jenem Ort, an dem die beiden sich vor ungefähr drei Wochen geliebt hatten, bevor er ihr den Stiefel ... Anna wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Von ihrem Versteck aus konnte sie alles ganz genau beobachten.
    Ihr stockte der Atem. Hine baute sich vor Christian auf und ließ langsam ihr Kleid fallen. Völlig nackt bot sie sich im Licht des Vollmondes dar. Anna erkannte sofort, was geschehen war: Hines Bauch hatte die Wölbung verloren, und auch ihre Brüste waren knabenhafter als beim letzten Mal. Anna begann zu frösteln. Das Kind! Hine hatte das Kind verloren, und Anna wusste nur zu genau, warum.
    Christian hingegen wirkte verwirrt. Er starrte Hine eine Weile an. Dann trat er auf sie zu, um ihre Hüften zu umfassen, aber sie duckte sich geschickt unter seinen Armen weg. Was hatte sie vor? Da ertönte ein Zischen und Pfeifen, das lauter war als das von Hine, und wie von Geisterhand tauchten plötzlich von allen Seiten halbnackte Gestalten auf, die mit Speeren bewaffnet waren. Anna gefror das Blut in den Adern. Sie wagte kaum zu atmen.
    Die Furcht erregenden Gestalten bildeten einen Halbkreis um Christian und Hine. Er versuchte wegzulaufen, aber einer der Männer hielt ihn fest, bis die anderen ihn umzingelt hatten. Dann ertönte ein schauerlicher Sprechgesang, der immer lauter und eindringlicher wurde. Jetzt konnte Anna erkennen, dass die dunkelhäutigen Männer über und über tätowiert waren. Sie begannen wild zu tanzen, zu zucken und zu springen. Dabei näherten sie sich Christian, entfernten sich wieder und streckten ihm die Zungen heraus, die bis fast zum Kinn reichten. Und sie verzerrten die Gesichter zu solchen Fratzen, dass ihnen beinahe die Augen aus den Höhlen traten. Das machte die Szene noch bedrohlicher. Anna verstand den Sprechgesang nicht, der sich zu einem unheimlichen Brüllen steigerte. Nur zwei Wörter glaubte sie herauszuhören: »Ka mate, Ka mate.«
    Hine, die ebenfalls im Gesicht über und über mit schwarzen Zeichen bemalt war, stand anfangs stumm und mit finsterem Gesicht da, doch dann fiel sie ein in den Chor der Männer. »Ka mate, Ka mate.« Der verängstigte Christian taumelte im Kreis wie betäubt hin und her. Schließlich erhob Hine die Hand, und alle verstummten. Hine trat in das Rund. Christian wich vor ihr zurück.
    Anna fragte sich, was sie tun würde, sollten die Männer Christian vor ihren Augen töten. Ob sie ihm zu Hilfe eilen würde? Nein, das würde sie nicht tun. Wenn diese Männer zu Hines Familie oder ihrem Stamm gehörten, dann konnte sie sogar verstehen, dass sie ihn strafen wollten, weil er Hines Kind umgebracht hatte. Im gleichen Moment schämte Anna sich jedoch für diese klare Antwort ihres Herzens.
    Nachdem die Krieger verstummt waren und regungslos verharrten, ergriff Hine das Wort. Beschwörend redete sie auf Christian ein. Anna verstand nichts von dem, was sie murmelte, aber Hines Gesten jagten ihr Schauer über den Rücken. Hine zeigte erst auf ihren Bauch, dann auf Christian; sie formte mit den Händen Rundungen in der Luft, eine Frau, ja das sollte wohl eine Frau darstellen. Pakeha!, rief sie, Pakeha! Dann tat sie so, als wiege sie ein

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