Der Fluch der Maorifrau
Spiegel zeigte ihr, dass es tatsächlich wie für sie gemacht war. Ihre aufgesteckten blonden Locken kamen voll zur Geltung, und ihre Haut schimmerte verführerisch.
Mary war ganz außer sich vor Begeisterung. Sie überschüttete die Freundin mit Lob und kommentierte begeistert jede Spitze und jede Rüsche. Anna selbst gefiel dieses elegante hellblaue Kleid auch, aber sie spürte an diesem Tag mehr als deutlich, dass es bald zu eng sein würde.
»Das steht Ihnen so wundelbal, das ist wie fül Sie geschneidelt!«, rief Mister Hoang und klatschte vor Begeisterung in die Hände.
»Warten Sie!«, bat sie den Schneider und beugte sich verschwörerisch zu Mary hinunter. »Ich glaube, ich bin wirklich schwanger. Soll ich es trotzdem nehmen?«
Marys Antwort war eine heftige Umarmung. Dann erteilte sie Mister Hoang ein paar Anweisungen, die Anna nicht verstand. Sie hatte zwar fleißig Englisch gelernt, aber nach zwei Monaten Unterricht beherrschte niemand diese Sprache perfekt. Außerdem sprach Mary, wenn sie Anna nicht gerade unterrichtete, mit einem schottischen Einschlag, der schwer zu verstehen war. Und so redete sie jetzt auf Hoang ein, kicherte zwischendurch und warf Anna einen wissenden Blick zu.
Mary bezeichnete sich stets scherzhaft als Eingeborene, war aber eine Schottin durch und durch. Mary McDowells Familie war bereits 1848 mit den ersten Siedlern nach Otago gekommen. Mary war hier geboren und betrachtete sich deshalb als Einheimische. Als Anna ihr widersprochen und sie auf die Maoris verwiesen hatte, hatte Mary nur laut gelacht. »Ich meine doch richtige Menschen«, hatte sie glucksend erwidert. Diese herabsetzende Bemerkung über die Ureinwohner der Insel hatte Anna missfallen. Dabei war ihre Freundin eigentlich eine überaus freundliche Person und mit ihren sechsundzwanzig Jahren bereits eine erfahrene Frau, die schon einen zweijährigen Sohn hatte. Timothy war ihr ganzer Stolz, ein hübscher, blond gelockter Sonnenschein, der von allen heiß geliebt wurde.
»Was hast du zu ihm gesagt?«, fragte Anna neugierig.
»Dass er alles so ändern soll, dass du es auch tragen kannst, wenn du in anderen Umständen bist!« Mary kicherte und umarmte Anna gleich noch einmal.
Anna liebte jeden Tag, den sie mit Mary verbringen durfte, und das waren viele, denn Christian befürwortete diesen Kontakt zu der jungen Neuseeländerin ausdrücklich. Anna ahnte, dass der Grund weniger in Marys herzerfrischender Art lag als vielmehr in der gesellschaftlichen Stellung ihres Ehemanns John. Der Anwalt war ein wichtiger Geschäftspartner für Wortemann & Peters, da er sämtliche Verträge der Handelsniederlassung aufsetzte.
So hatten die beiden Frauen den Segen ihrer Männer und unternahmen neben dem Englischunterricht häufig gemeinsame Ausfahrten. Auf diese Weise lernte Anna ihre neue Heimat besser kennen. Inzwischen hatte sie sogar die Angst vor fremden Tieren verloren, denn Mary behauptete stets, dass in Neuseeland gar keine wilden Tiere existierten, was Anna außerordentlich beruhigend fand. Von der exotischen Vogelwelt der Insel konnte Anna nicht genug bekommen. Am Strand hatte Mary ihr Möwen mit mächtigen Schwingen gezeigt und seltsam aussehende Vögel, die nicht flogen, sondern am Wasser entlangwatschelten. »Das sind Pinguine«, hatte Mary ihrer Freundin erklärt.
»Zieh dich an, wir trinken noch einen Tee bei mir!«, schlug Mary nun vor und lehnte sich im Sessel zurück.
Anna konnte sich nicht helfen. In Gegenwart dieser weltgewandten Person fühlte sie sich manchmal furchtbar unerfahren und linkisch. Dabei stammte sie selbst und nicht etwa Mary aus einer Weltstadt.
»Ich glaube, ich muss nach Hause. Es ist schon so spät!« Anna trat in ihrer Straßenkleidung hinter dem prächtigen Paravent des Schneiderateliers hervor.
»Wozu hast du Paula?«, entgegnete Mary und hakte die Freundin unter. Arm in Arm traten sie auf die Straße. »Komm doch noch auf einen Sprung mit zu Mildred!«, schlug Mary übermütig vor und zog Anna in den Laden der geschäftstüchtigen Hutmacherin Mildred Evans.
Beide Frauen hatten eine neue Kreation auf dem Kopf, als sie den Laden verließen.
»Guck mal, wie sie hinter uns herschauen!«, sagte Mary kichernd, als sie an einem der vielen Saloons vorbeigingen, vor dem einige Männer standen, denen unschwer anzusehen war, dass sie Farmer aus den Bergen waren.
Anna waren die Blicke der Männer eher unangenehm.
»Und nun gehen wir noch zu mir!«, befahl Mary.
»In Ordnung!«
Es war schwer,
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