Der Fluch der Maorifrau
Zeitverschiebung gedacht. Ich war bei meinen Eltern, und die lassen fragen, ob du zum Neujahrsbrunch zurück sein kannst.«
Sophie schluckte trocken. Neujahrsbrunch? Jans Eltern? Ein Anruf mitten in der Nacht?
»Jan, wie ich dir bereits gesagt habe: Ich muss erst mal die Beerdigung abwarten. Der Anwalt wird sicher nichts unversucht lassen, damit sie noch im alten Jahr stattfindet«, erwiderte sie ausweichend.
»Super, dann könntest du ja am ersten Januar nach unserer Zeit wieder zu Hause sein«, freute sich Jan.
»Mal sehen!« Sophie war nicht in der Stimmung, ihm zu offenbaren, dass sie am ersten Januar bestimmt noch nicht zurück sein würde, weil sie den Jahreswechsel mit Judith und John verbringen wollte.
»Heißt das, ich soll Neujahr auch allein zum Abendessen bei meinem Chef gehen? Die werden doch alle nach dir fragen.«
Jan wurde langsam ungeduldig. Das konnte Sophie unschwer an seinem Ton erkennen. Ihr wurde eiskalt. Denkt er eigentlich immer nur daran, was die anderen Leute sagen?
»Ich glaube, deine Partner werden das verstehen, wenn du ihnen erklärst, dass die Mutter deiner Verlobten in Neuseeland tödlich verunglückt ist!«, gab sie scharf zurück.
»Du hast ja recht.« Jan klang plötzlich kleinlaut. Leise fügte er hinzu: »Aber ich habe manchmal Angst, du könntest nie mehr zurückkehren. Du bist so unendlich weit weg.«
Sophie seufzte. Ich bin noch viel weiter weg, als du glaubst, ging ihr durch den Kopf, als sie das Gespräch beendet hatten.
Dunedin, im April 1863
Es war keine Nacht vergangen, in der Anna nicht an das unheimliche Spektakel der Maori am Strand denken musste. Und jedes Mal wurde ihr übel dabei, aber sie konnte den Gedanken dennoch nicht verdrängen. Christian war äußerlich unbeschadet von seinem Abenteuer zurückgekehrt.
Dass er Todesängste ausgestanden hatte, begriff Anna, als sie seine Hosen waschen wollte, die er an jenem Abend getragen hatte. Dabei schlug ihr ein so übler Gestank nach Exkrementen entgegen, dass sie diese für immer verschwinden ließ. Die Tatsache, dass er in seiner Panik unter sich gelassen hatte, verstärkte ihren Ekel vor ihm nur noch.
Christian hatte nach jener Nacht sein Verhalten ihr gegenüber noch einmal grundlegend verändert. Er benahm sich wie ein echter Gentleman. Er war zuvorkommend, behandelte Anna wie ein rohes Ei, ja, er trug sie auf Händen, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab und hatte nicht mehr ein einziges Mal gewagt, sie anzurühren, nachdem sie bei seinem ersten Versuch »Nein!« gezischelt hatte. Was hat den rücksichtslosen Kerl nur in ein Lamm verwandelt?, fragte Anna sich. Ob er bemerkt hat, dass mir seit Wochen morgens übel ist?
Christian hoffte, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug. Sie sah es an seinem Blick.
Anna war sich inzwischen sicher, dass sie ein Baby erwartete. Aber noch wollte sie die Freude nicht mit ihm teilen.
Auf dem Fest, das Christian vor nunmehr acht Wochen endlich für sie gegeben hatte, hatte er ihr die lebenslustige Schottin Mary vorgestellt, die sie seither in Englisch unterrichtete und inzwischen eine gute Freundin geworden war. Als Anna ihr von der morgendlichen Übelkeit erzählte, hatte sie Anna verschwörerisch zugeraunt: »Ein einschlägiges Symptom. Außerdem keine Blutungen mehr, in den Brüsten ein merkwürdiges Ziehen und die Morgenübelkeit so regelmäßig, wie die Kirchturmuhr zwölf Uhr schlägt. Du erwartest ein Kind, Anna!«
Die junge Mary McDowell. Was für eine Bereicherung für mein Leben!, dachte Anna, während sie an diesem Tag beim Schneider ihre neuen Kleider anprobierte. Nicht nur, dass sie beinahe täglich mit ihr Englisch paukte, nein, sie war ihr auch eine echte Freundin geworden und hatte sie zu diesem Schneider geschleppt.
»Er ist wunderbar«, hatte Mary geschwärmt, »schon allein, weil er die steife Krinoline unter den Röcken nicht mehr zeitgemäß findet und allen Kundinnen zur Tornüre rät.«
Anna war schließlich mitgegangen, ganz gespannt auf die Schneiderkunst des sagenhaften Mister Hoang. Sie hatte noch nie zuvor mit einem Chinesen zu tun gehabt und wusste nicht so recht, wie sie ihm begegnen sollte. Der quirlige Mister Hoang aber nahm ihr schon bei der Begrüßung die Unsicherheit. Sein Englisch war perfekt, und er machte ihr sogleich Komplimente ob ihrer wunderbaren Figur.
Alter Schmeichler!, dachte Anna, während sie sich ihrer Freundin nun in einem für ihre Begriffe wegen des Ausschnitts eher gewagten Kleid zeigte. Ein Blick in den
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