Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
stimmten auf
bemerkenswerte Weise mit seinen überein.
    »Sagen Sie«, meinte er, einem
plötzlichen Antrieb folgend, »möchten Sie sie lesen? Das heißt meine
Übersetzung?« Sie schaute ungläubig zu ihm auf. »Darf ich?«
    »Gewiß. Es ist noch immer so
etwas wie ein Geheimnis, wenn Sie verstehen, was ich meine, aber ich denke, es
wird schon in Ordnung sein, wenn Sie…« Ben war sich nicht sicher, ob aus seinem
Mund Worte kamen, die er wirklich sagen wollte. Und während er Judy mit dem
Schmierheft, in das er seine Rohübersetzung schrieb, ins Wohnzimmer führte,
bedauerte er gleichzeitig seine Unbesonnenheit. Da gab es einige unter seinen
Kollegen, andere Professoren und Spezialisten auf diesem Gebiet, die vielleicht
Judys Dozenten waren. Sie konnte ihnen gegenüber etwas erwähnen…
    Ihr Gesicht verriet nichts,
als sie mit übergeschlagenen Beinen auf der Couch saß und seine Übersetzung
las. Sie las die Seiten ohne aufzublicken, wobei sich ihr Gesichtsausdruck
nicht einmal änderte. Ihr Atem ging langsam und flach. Sie hatte den Kopf über
das Heft geneigt, wodurch ihr das lange, schwarze Haar nach vorne über die
Schultern fiel.
    So, dachte er, als er sie
beobachtete, sie ist wohl gar nicht beeindruckt.
    Doch als Judy Golden endlich
von dem Heft aufsah, drückten ihre Augen alles aus, was ihr Gesicht nicht
verraten hatte. »Das hier läßt sich nicht mit Worten beschreiben«, meinte sie
leise. »Allerdings.« Er lachte gezwungen. »Ich weiß, was Sie meinen.« Falls Ben
jemals der kühle, sachliche Wissenschaftler im Umgang mit Schriftrollen gewesen
war, so war er jetzt das genaue Gegenteil. Irgend etwas an Judy Golden ließ ihn
an seiner Gelassenheit zweifeln. Sie reagierte so ganz und gar nicht wie Angie
– Angie, die eine Schriftrolle nehmen oder liegenlassen konnte. Nein, dieses
Mädchen mit dem Stern Zions um den Hals war genauso wie Ben. Er bedauerte es
nicht länger, ihr die Rollen gezeigt zu haben. »Lassen Sie mich Ihnen von dem
Ort erzählen, wo sie gefunden wurden.« Ben beschrieb kurz die Ausgrabungsstätte
in Khirbet Migdal, berichtete von John Weatherbys Suche nach einer alten
Synagoge und schließlich von der zufälligen Entdeckung der »Bibliothek«.
»Wertvolle Schriftrollen in Tonkrügen zu lagern war, wie Sie wissen, eine gängige
Praxis im alten Israel. Nur waren die bis heute gefundenen alle religiösen
Inhalts. Offensichtlich betrachtete David Ben Jona seine Schriftrollen als
ebenso wichtig wie irgendwelche heiligen Schriften.«
    »Natürlich! Schließlich
wollte er ja unbedingt, daß sein Sohn sie zu lesen bekäme.« Sie starrte vor
sich hin. »Ich frage mich, warum.«
    »Ich auch.«
    »Es macht mich traurig.«
    »Was?«
    »Daß Davids Sohn sie niemals
fand.«
    Ben schaute
Judy Golden erstaunt an. Ihr rundes Gesicht wirkte im Licht der einzigen Lampe
blaß, ihr Haar so viel dunkler und voller. »Daran hatte ich noch gar nicht
gedacht, aber Sie haben wahrscheinlich recht. Zwei der Tonkrüge – die beiden
unversehrtesten – trugen an der Stelle, an der sie versiegelt worden waren,
sein Zeichen. Das bedeutet, daß sie nicht geöffnet worden sind. Außerdem: Wenn
sein Sohn sie gelesen hätte, dann hätte er sie ja wohl nicht wieder versiegelt
und vergraben, oder? Ich schätze, Sie haben recht. Sein Sohn… die einzige
Person, der er sich so dringend mitteilen wollte… vor dem er seine Beichte
ablegen wollte…«
    »Es ist traurig. Wir sind
nicht die Menschen, für die er sie bestimmt hatte.«
    Ben stand unvermittelt auf,
drehte eine Runde im Zimmer und schaltete mehr Lampen an, so daß der Raum jetzt
mit Helligkeit durchflutet wurde. Wie dumm es doch war, sich von einem Drama
rühren zu lassen, das schon vor zweitausend Jahren zu Ende gegangen war. Was
nutzte es, sich für jemanden zu grämen, der schon seit zwanzig Jahrhunderten
tot war? »Möchten Sie einen Kaffee?« Aber warum hat dein Sohn die Rollen nicht
bekommen, David? Was ist ihm widerfahren?
    »Es ist nur
löslicher Kaffee.«
    »Ich bin an
löslichen gewöhnt, danke.«
    Mein Gott, David, war es dir
im letzten Moment, bevor du deine Augen für immer geschlossen hast, bewußt, daß
dein Sohn die Rollen niemals lesen würde? Und bist du im Bewußtsein gestorben,
daß alles vergeblich gewesen war?
    Er ging mechanisch in der
Küche umher – ließ Wasser laufen, schaltete das Heißwassergerät ein, löffelte
Kaffee in die Tassen –, und als er wieder ins Arbeitszimmer trat, fand er Judy
von neuem in die Übersetzungen

Weitere Kostenlose Bücher