Der Fluch der Schriftrollen
weiß,
es ist Samstagabend, und wahrscheinlich haben Sie schon etwas vor. Aber ich
könnte Ihre Hilfe gebrauchen.«
Sie antwortete
nichts.
»Es geht um die
Schriftrollen«, fuhr er weniger zuversichtlich fort. »Weatherby hat mich um
einen Tätigkeitsbericht gebeten, und ich fürchte, wenn ich meine Aufzeichnungen
selbst tippe, würde ich eine Woche dazu brauchen. Und so habe ich mich gefragt,
ob Sie nicht…«
»Aber mit Vergnügen. Ihre
Schreibmaschine oder meine?«
»Nun, ich habe eigentlich
eine sehr gute. Sie ist elektrisch und…«
»Wunderbar! Um wieviel Uhr
soll ich vorbeikommen?«
Ben seufzte erleichtert. »Ist
in einer halben Stunde zu früh?«
»Nein, das paßt
ausgezeichnet.«
»Ich werde Sie natürlich
dafür bezahlen.«
»Nicht nötig. Lassen Sie mich
nur am Ruhm teilhaben. Und vergewissern Sie sich bitte, daß Sie meinen Namen
richtig buchstabieren. Bis gleich, Dr. Messer.«
»Bis gleich und vielen Dank.«
Nachdem er aufgelegt hatte,
war er nicht sicher, ob er das Richtige getan hatte. Eigentlich war er sich
nicht einmal sicher, warum er es getan hatte. Wie so oft in letzter Zeit, war
er einer plötzlichen Eingebung gefolgt, und nun war es zu spät, um alles
rückgängig zu machen.
Ben begab sich langsam ins
Wohnzimmer. Er befand sich in einem Zwiespalt, mit dem er sich abfinden mußte:
Einerseits wollte er allein sein, andererseits verspürte er gleichzeitig das
Bedürfnis nach Gesellschaft. Poppäa war nicht genug, und Angie war zuviel.
Vielleicht würde Judy irgendwo dazwischen liegen. Wenn sie am Wohnzimmertisch
tippte und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerte und er selbst im
Arbeitszimmer saß, dann könnte vielleicht ein vernünftiges Gleichgewicht
gefunden werden.
Ben wollte sich nicht
eingestehen, daß das Tippen des Tätigkeitsberichts nur ein Vorwand war, um Judy
bei sich zu haben. Tief in seinem Innern keimte ein unerklärliches Bedürfnis
nach Judy Goldens Gesellschaft, so daß er Gründe und Entschuldigungen erfand,
um in ihrer Nähe zu sein.
Ben konnte nur noch daran
denken, daß er diesen Abend nicht allein verbringen wollte. Denn Salomon
Liebowitz würde niemals freiwillig in seinen Verschlag zurückgehen. Und
genausowenig würde Rosa Messers Stimme schweigen. »Sie folterten deinen Vater,
Benjamin! Sie folterten ihn zu Tode!«
Ben drehte den Plattenspieler
auf – Beethovens siebte Symphonie – und summte mit. Geräuschvoll spülte er in
der Küche ein paar Tassen aus und setzte eine frische Kanne Kaffee auf.
»Und was sie mir angetan
haben!« schrie Rosa Messers Stimme aus der Vergangenheit. »Eine Mutter sollte
das ihrem Sohn nicht erzählen. Aber ich bin damals mit deinem Vater zusammen
gestorben. Ich bin an dem gestorben, was die Deutschen deinem Vater und mir
antaten! Ich bin nicht mehr lebendig, Benjamin! Eine Frau sollte nicht
durchmachen müssen, was ich durchgemacht habe! Du lebst mit einer Toten,
Benjamin!«
Judy Golden mußte sehr laut
klopfen, um gehört zu werden. Ben begrüßte sie mit gezwungener Begeisterung.
Und zu seiner Überraschung war sie trief endnaß.
»Draußen schüttet es!«
erklärte sie. »Wußten Sie das nicht?«
»Nein, ich hatte keine
Ahnung. Sie kommen genau richtig, der Kaffee ist gerade fertig.«
Er half ihr aus der dicken
Jacke, die er an einen Türrahmen hängte, damit sie schneller trocknete. Dann
ging er in die Küche, wobei er ihr auf dem Weg etwas über die Schulter hinweg
zurief. »Ich kann Sie nicht hören, Dr. Messer.« Judy sah zum Plattenspieler
hinüber. »Donnerwetter«, bemerkte sie leise. Er kehrte um und drehte die
Lautstärke herunter. »Entschuldigung.«
»Ich wette, Ihre Nachbarn
lieben Sie.«
»Ich habe nur einen auf
demselben Stockwerk, und der ist selten zu Hause. Nehmen Sie doch Platz. Sie
trinken Ihren Kaffee schwarz, nicht wahr?«
Judy ließ
sich auf die luxuriöse Couch fallen und legte ihre Füße auf den Diwan. Die
Musik auf der Schallplatte war nun in den zweiten Satz übergegangen – diese
langsame, klagende Melodie, die selbst den teilnahmslosesten Zuhörer in ihren
Bann schlug. Ben holte aus der Küche Kaffee und ein paar Kuchenstücke, die er
zuvor aus dem Tiefkühlfach genommen hatte.
»Sie haben hoffentlich schon
zu Abend gegessen. Ich dachte nicht…«
»O ja.«
»Sie haben keine Verabredung
oder irgend etwas abgesagt, um herzukommen…?« Seine Stimme wurde schwächer.
Judy sah ihn belustigt aus den Augenwinkeln an.
»Ich bin eigentlich nicht der
Typ, der sich ständig
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