Der Fluch der Schriftrollen
sie Interesse an den Rollen heuchelte, damit er sich besser fühlte. Der
Ausdruck in ihren Augen sagte: »Es wird vorübergehen. Der kleine Ben wird
darüber hinwegkommen, und dann können wir spielen gehen.«
»Das verstehst du doch
nicht!« antwortete er und wandte seinen Blick von ihr ab. Im Morgenlicht fiel
es Ben trotz des trüben Wetters auf, daß Angie zuviel Make-up trug. Und dieses
verdammte Parfüm, das sie immer an sich hatte, verdarb ihm den Geschmack an
seinem Kaffee.
»Du kannst es mir trotzdem
erklären.«
»Oh, um Himmels willen,
Angie, versuch doch nicht künstlich, dich mir anzupassen.« Er stieß seinen
Stuhl zurück und stand mit den Händen in den Hosentaschen auf. Ein leichter
Sprühregen tröpfelte ans Fenster.
»Was ist nur los mit dir,
Ben? Ich habe dich niemals so erlebt. Mal bist du nett und fröhlich und im
nächsten Augenblick launisch und gereizt. Du warst doch sonst nie so
unausgeglichen.«
»Es tut mir leid«, murmelte
er und entfernte sich ein paar Schritt von ihr. Himmel noch mal, dachte er,
alles, was ich will, ist doch nur, daß du mich alleine läßt! Damit ich in Ruhe
nachdenken kann. Und du platzt hier herein in deiner feenhaften Aufmachung und
mit deinem Kindergartenstimmchen und…
»Diese Rollen nehmen mich
mehr und mehr gefangen, Angie. Ich kann nichts dagegen tun. Sie sind… sie
sind…« Was? Was sind sie? Sind sie im Begriff, mich völlig zu beherrschen?
Er roch, wie der Duft ihres
Parfüms näher an ihn herankam. Dann fühlte er ihre schlanken Hände auf seinen
Schultern. »Laß mich lesen, was du bis jetzt übersetzt hast.« Ben drehte sich
um, damit er sie ansehen konnte. O Angie, Liebes, dachte er unglücklich, ich
weiß ja, daß du versuchst, mich zu verstehen. Ich weiß, daß du das alles nur
meinetwegen tust. Bitte, tu’s nicht… »Darf ich?«
»Sicher, warum nicht? Setz
dich.«
Sie streifte
ihre Schuhe ab, sank auf die Couch und zog die Füße aufs Polster. Als er ihr
das Heft reichte, überflog sie die Seiten und meinte dann: »So viel! Ist ja
toll!«
Er ging ins Wohnzimmer zurück
und nahm seinen Kaffee. Er schmeckte jetzt besser.
Nach einer beachtlichen Weile
warf Angie das Übersetzungsheft auf den Couchtisch und urteilte: »Das war
interessant.« Ben schaute sie an.
»Ich denke,
du hast ein ganzes Stück Arbeit geleistet. Ich hoffe, daß Weatherby sie dir
großzügig honoriert.«
Bens Augen weiteten sich
ungläubig. »Was denkst du über David Ben Jona?«
»Was ich über
ihn denke? Oh…« Sie zuckte die Schultern. »Eigentlich gar nichts. Wenn er jetzt
noch Jesus erwähnt, dann hast du wirklich das große Los gezogen.«
Ben setzte seine Kaffeetasse
ab. »Angie«, begann er leiser, wobei er jedes Wort mit besonderer Sorgfalt
abwägte, »David Ben Jona… wenn du seine Worte liest… fühlst du dann nicht etwas?«
Sie hielt den Kopf schief und fragte: »Was meinst du?«
»Nun«, er wischte sich seine
feuchten Hände an seiner Hose ab, »wenn ich zum Beispiel seine Worte lese, dann
fühle ich mich ganz stark mit einbezogen. Weißt du, was ich meine? Ich werde
darin eingeschlossen und kann mich nicht daraus befreien. Es ist, als spräche
er wirklich zu mir…«
»Ben…«
Er sprang auf und fing an,
mit einem auffällig hinkenden Gang durch das Zimmer zu gehen. Kann es sein, daß
nur ich davon betroffen bin? überlegte er verstört. Bekomme ich als einziger
diese Gefühle, wenn ich Davids Worte lese? Was ist es nur? Was ist die Ursache
dafür?
Das ist lächerlich! Schau sie
nur an. Wie kann sie so verdammt desinteressiert an der ganzen Sache sein,
während ich zum Nervenbündel werde!
»Ben, was ist los mit dir?«
Er beachtete sie nicht,
sondern hing seinen Gedanken nach. Jona, der Vater von David, und Jona Messer,
der Vater von Ben, und beide sagten: »Denn der Herr behütet den Weg der
Gerechten; doch der Weg der Sünder führt in den Abgrund.« Du bist einer aus dem
Stamme Benjamins. Der Fluch Mose wird über dich kommen, und der Herr wird dich
mit Wahnsinn schlagen… »Ben!«
Er hielt plötzlich inne.
»Angie, ich möchte für eine Weile allein sein.«
»Nein!« Mit einem Satz sprang
sie auf. »Schick mich nicht fort.« Ben wich zurück und fühlte sich eingesperrt.
»Bis die Post kommt, dauert es noch Stunden«, fuhr sie fort. »Laß uns einen
Ausflug machen und das alles für ein Weilchen vergessen…«
»Nein!« schrie er. »Zum
Teufel noch mal, Angie, das einzige, was du willst, ist, mich von meiner Arbeit
wegzubringen.
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