Der Fluch der Schriftrollen
Fluch?«
»Irgendwie ist es ja
romantisch, ein Versteck mit alten Schriftrollen zu finden, die mit einem Fluch
behaftet sind. Weatherby erzählte mir am Telefon davon. Wie es scheint, war der
Jude namens David Ben Jona, der die Rollen schrieb, vermutlich als alter Mann,
fest entschlossen, seine kostbaren Handschriften sicher zu bewahren, und griff
daher auf einen uralten Fluch zurück. Den Fluch Mose.«
»Den Fluch Mose!«
»Er stammt aus dem Fünften
Buch Mose, Kapitel achtundzwanzig. Dort findet sich eine ganze Reihe schrecklicher
Flüche. Wie etwa von einer schlimmen Feuersbrunst heimgesucht und auf ewig von
Grind und Krätze verfolgt zu werden. Ich denke, David Ben Jona hatte diese
Rollen wirklich schützen wollen. Er mußte wohl geglaubt haben, dies sei genug,
um jeden Unbefugten in Angst und Schrecken zu versetzen und von den Rollen
fernzuhalten.«
»Nun, Weatherby hat es
anscheinend nicht abgeschreckt.« Ben lachte. »Ich bezweifle, ob der Fluch nach
zweitausend Jahren noch viel von seiner Kraft hat. Aber wenn Weatherby jetzt plötzlich
von Grind und Krätze befallen wird…«
»Hör auf!« Angie rieb sich
die Arme. »Brrr. Ich kriege Gänsehaut davon.«
Beide
starrten wieder ins Feuer, und Angie, die sich an das verblichene Pergament
erinnerte, das sie im »Schrein des Buches« gesehen hatten, fragte: »Warum waren
die Rollen von Qumran eine so phantastische Entdeckung?«
»Weil sie den Beweis für die
Richtigkeit der Bibel lieferten. Und das ist keine Kleinigkeit.«
»Ist das dann nicht
bedeutender als das, was Dr. Weatherbys Rollen zu sagen haben?«
Ben schüttelte den Kopf.
»Nicht vom Standpunkt der Geschichtsschreibung. Wir haben genug Bibeltexte, die
uns das verraten, was . wir über die Entwicklung der Bibel durch die
Jahrhunderte hindurch wissen müssen. Was wir nicht besitzen, ist eine hinreichende
Kenntnis darüber, wie sich zu jenen Zeiten das tägliche Leben abspielte.
Religiöse Schriftrollen wie die vom Toten Meer enthalten beispielsweise
Prophezeiungen und Glaubensbekenntnisse, doch sie sagen uns nichts über die
Zeit, in der sie geschrieben wurden, oder über die Menschen, die sie verfaßten.
Weatherbys Rollen dagegen… Großer Gott!« entfuhr es ihm plötzlich. »Ein
persönliches Tagebuch aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert! Denk nur mal an
die Wissenslücken, die dadurch geschlossen werden könnten!«
»Was ist, wenn sie älter
sind? Vielleicht aus dem ersten Jahrhundert?«
Ben zuckte die Schultern.
»Das ist möglich, aber um das sagen zu können, ist es noch zu früh. Weatherby
tippt auf das späte zweite Jahrhundert. Die Radiokarbonmethode kann es nicht
weiter für uns eingrenzen. Letztendlich hängt es von meiner Analyse des
Schreibstils ab. Erst sie wird uns Aufschluß darüber geben, wann David Ben Jona
gelebt hat. Dabei ist meine Tätigkeit keine exakte Wissenschaft. Aus dem zu
schließen, was ich bislang gelesen habe, könnte der alte David Ben Jona zu
jeder x-beliebigen Zeit innerhalb einer Epoche von dreihundert Jahren gelebt
haben.«
Ein verträumter Blick zeigte
sich auf Angies Gesicht. Es war ihr gerade etwas eingefallen. »Aber das erste
Jahrhundert wäre das phantastischste, nicht wahr?«
»Natürlich. Neben den
Qumran-Handschriften, den Briefen von Bar Kochba und den Schriftrollen von
Masada existiert nach heutiger Kenntnis kein weiteres aramäisches Schriftstück
aus der Zeit Christi.«
»Meinst du, er wird darin
erwähnt?«
»Wer?«
»Jesus.«
»Oh, na ja, ich glaube
nicht…« Ben wandte seinen Blick von ihr ab. Für ihn war die Wendung »aus der
Zeit Christi« lediglich ein Instrument zum Festlegen des historischen Maßstabs.
Es war einfacher, als zu sagen »vom Jahr vier vor unserer Zeitrechnung bis etwa
zum Jahr siebzig nach unserer Zeitrechnung« oder »nach-augustinisch und
präflavianisch«. Es war nur ein Kürzel zur Bezeichnung dieser bestimmten Epoche
in der Geschichte. Ben besaß seine eigene Theorie über den Mann, den die Leute
Christus nannten. Und diese wich von der Norm ab.
»Du wirst also anhand der
Schriften herausfinden können, wann es geschrieben wurde?«
»Das will ich hoffen. Die
Schreibstile veränderten sich im Laufe der Jahrhunderte. Die Handschrift
selbst, das benutzte Alphabet und die Sprache sind meine drei Maßstäbe. Ich
werde Weatherbys Rollen mit anderen vergleichen, die wir heute schon besitzen,
wie etwa die von Masada, und sehen, inwieweit der Schreibstil übereinstimmt.
Nun haben wir nach der chemischen Analyse
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