Der Fluch der Sphinx
betrat Carnarvon die Vorkammer, und seine Sinne waren ganz benommen angesichts der Schönheit der so achtlos verstreut liegenden Gegenstände. Er wandte sich um und reichte seiner Tochter die Hand, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein. Da bemerkte er, daß rechts von der Alabasterschale eine Papyrusrolle an der Wand lehnte. Links lag ein Gewinde aus vertrockneten Blumen, als habe Tutanchamuns Beisetzung erst gestern stattgefunden, und daneben stand eine geschwärzte Öllampe. Lady Evelyn umklammerte die Hand ihres Vaters und folgte ihm über die Schwelle. Callender schloß sich an. Raman beugte sich nur ins Innere der Vorkammer, denn er konnte aus Platzmangel nicht hinein.
»Unglücklicherweise ist auch die Grabkammer aufgebrochen und dann neu versiegelt worden«, sagte Carter und deutete auf die Tür, vor der er stand. Vorsichtig gesellten sich Carnarvon, Lady Evelyn und Callender zu dem Archäologen, lenkten ihre Blicke in die Richtung, wohin sein Finger zeigte. Raman betrat jetzt auch die Vorkammer.
»Seltsam ist allerdings«, fügte Carter hinzu, »daß die Tür nur einmal geöffnet worden ist, nicht zweimal wie die zum Vorraum. Also besteht noch Hoffnung, daß die Mumie unversehrt ist.« Carter drehte sich um und erblickte Raman. »Raman, ich habe dir nicht erlaubt, die Vorkammer zu betreten.«
»Exzellenz mögen mir verzeihen. Ich dachte, ich könne nützlich sein.«
»Kannst du auch. Du kannst dich nützlich machen, indem du dafür sorgst, daß niemand diese Kammern ohne meine persönliche Erlaubnis betritt.«
»Selbstverständlich, Exzellenz.« Lautlos schlüpfte Raman hinaus.
»Howard«, sagte Carnarvon, »Raman ist sicherlich ebenso beeindruckt von dieser Entdeckung wie wir. Vielleicht könnten Sie etwas großzügiger verfahren.«
»Die Arbeiter werden das Grab später besichtigen dürfen; wann, das bestimme ich«, entgegnete Carter. »Weswegen ich bezüglich der Mumie noch Hoffnung habe, will ich Ihnen erklären. Ich nehme an, daß die Räuber mitten bei der Grabschändung überrascht worden sind, denn es ist rätselhaft, weshalb alle diese unermeßlich kostbaren Gegenstände hier herumliegen. Es sieht aus, als hätte jemand sich nur wenig Zeit dafür genommen, sie nach dem Durcheinander, das die Räuber angerichtet hatten, wieder einigermaßen aufzuräumen; jedenfalls nicht so viel, um alles wieder in die vorgeschriebene Ordnung zu bringen. Warum nicht?«
Carnarvon hob die Schultern.
»Beachten Sie diese wunderschöne Schale auf der Schwelle«, ergänzte Carter. »Warum ist sie nicht an ihren Platz zurückgestellt worden? Und dort dieser offenstehende goldene Schrein, aus dem offenbar eine Statue entwendet worden ist. Wieso hat sich beim Aufräumen niemand die Mühe gemacht, ihn zu schließen?« Carter ging zurück zur Tür. »Und diese ganz gewöhnliche Öllampe. Warum hat man sie im Grab zurückgelassen? Ich schlage vor, die genaue Lage aller Gegenstände in diesem Raum mit größter Sorgfalt aufzuzeichnen. Diese Spuren haben uns irgend etwas zu sagen. Das ist wirklich sehr sonderbar.«
Carnarvon spürte Carters Erregung und versuchte seinerseits, das Grab mit den geübten Augen seines Freundes zu betrachten. Gewiß, es war merkwürdig, daß eine Öllampe im Innern zurückgeblieben war, und auch dieallgemeine Unordnung verblüffte den Beschauer. Aber Carnarvon war von der Schönheit der Fundstücke so überwältigt, daß ihn das alles nicht berührte. Als er die Schale aus durchscheinendem Alabaster besah, die man so achtlos auf der Schwelle hinterlassen hatte, drängte es ihn, sie aufzuheben, sie in seinen Händen zu halten. Doch plötzlich fiel ihm eine kaum merkliche Veränderung ihrer Lage zwischen dem vertrockneten Blumengewinde und der Öllampe auf. Er wollte sich diesbezüglich äußern, aber da tönte erneut Carters erregte Stimme durch die Vorkammer.
»Da ist noch eine Kammer. Alles hierher.« Carter kauerte sich nieder und leuchtete mit der Stablampe unter eines der Prunkbetten. Carnarvon, Lady Evelyn und Callender eilten hinzu. Im Lichtkreis der Lampe konnten sie in das Innere einer weiteren Kammer sehen, gefüllt mit Gold und edelsteinverzierten Kostbarkeiten. So wie in der Vorkammer waren auch diese wertvollen Gegenstände chaotisch durcheinandergeworfen. Jedoch war die Ehrfurcht der Ägyptologen so groß, daß sie nicht danach zu fragen wagten, was hier vor dreitausend Jahren geschehen sein mochte.
Später, als sie bereit gewesen wären, sich mit diesem Geheimnis zu
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