Der Fluch der Sphinx
erregte und ängstigte sie gleichzeitig. Das war das nackte Leben, durchsetzt mit menschlichen Gefühlen; dem Schicksal begegnete man mit Resignation und sogar Gelächter.
»Zigarette?« fragte ein etwa zehn Jahre alter Junge. Er steckte in einem grauen Hemd und einer ausgebeulten Hose. Ein Freund schubste ihn vorwärts, so daß er auf Erica zustolperte. »Zigarette?« fragte er nochmals, verfiel in eine Art von arabischem Stehtanz, mit übertriebenen Gesten deutete er an, eine imaginäre Zigarette zu rauchen. Ein Schneider, der flink mit einem Bügeleisen voll Holzkohle bügelte, grinste breit, und eine Anzahl Männer, die an fein ziselierten Wasserpfeifen schmauchten, musterten Erica aus starren Augen.
Erica bereute es, so offensichtlich ausländische Kleidung angezogen zu haben. Anhand ihrer Hose aus Baumwolle und der vorn verknoteten Bluse war sie eindeutig als Touristin zu erkennen. Die anderen Frauen in westlicher Kleidung, die Erica gesehen hatte, waren alle in Kleidern herumgelaufen, nicht in Hosen, und die meisten Frauen auf dem Basar waren noch in die traditionellen schwarzen Meliyas gehüllt. Sogar in ihrem Körperbau unterschied sich Erica von den einheimischen Frauen. Obwohl sie einige Kilo mehr wog, als es ihr lieb war, war sie erheblich schlanker als die ägyptischen Frauen. Und ihr Gesicht besaß viel zierlichere Züge als die runden, trägen Mienen, die den Basar bevölkerten. Sie hatte große graugrüne Augen, üppiges nußbraunes Haar und einen feingeschwungenen Mund mit voller Unterlippe, die ihrem Gesicht einen schmollenden Ausdruck verlieh. Sie konnte schön sein, wenn sie sich ein bißchen Mühe gab, und sobald sie es tat, reagierten die Männer auch darauf.
Nun jedoch, während sie sich ihren Weg durch den belebten Basar bahnte, bedauerte sie es, daß sie so attraktiv aussah. Durch ihre Kleidung fiel sie sehr auf, und das war um so schlimmer, weil sie allein unterwegs war. Sie regte die Phantasie aller Männer an, die sie angafften.
Erica drückte die Tasche fester an sich und eilte weiter, so gut es ging, doch die Straße wurde noch enger. Die Seitenwege strotzten vor Schmutz, auf ihnen drängten sich dicht an dicht Menschen, die allen möglichen Arbeiten nachgingen. Über ihren Köpfen hingen Teppiche und Stoffbahnen, um das Marktviertel vor der Sonne zu schützen, aber gleichzeitig wurde dadurch der Lärmgrößer und die Luft stickiger. Erica zögerte wieder, betrachtete die stark unterschiedlichen Gesichter. Die Fellachen erkannte man an ihren ausgeprägten Backenknochen, den breiten Mündern und dicken Lippen, ihren herkömmlichen Käppchen und Galabiyas. Die Beduinen verkörperten den eigentlichen arabischen Typus. Sie besaßen schlanke, drahtige Körper und scharfgeschnittene Gesichtszüge. Die Nubier waren dunkel wie Ebenholz, sie hatten kraftvolle, muskulöse Oberkörper, und häufig waren sie bis zur Hüfte nackt.
Das Gewoge der Menschenmasse schob Erica vorwärts und drängte sie tiefer in den Khan-el-Khalili-Basar hinein. Sie wurde regelrecht zwischen den Leuten eingekeilt. Jemand kniff sie ins Gesäß, aber als sie sich umdrehte, konnte sie nicht mit Sicherheit feststellen, wer sich das erlaubt hatte. Mittlerweile folgte ihr ein Anhang von fünf oder sechs besonders hartnäckigen jungen Burschen.
Sie spürten ihr nach wie junge Hunde.
Ericas Ziel im Basar waren die Stände der Goldschmiede gewesen; sie hatte dort ein paar Geschenke kaufen wollen. Aber sie kam immer mehr von dieser Absicht ab, besonders, nachdem dreckige Finger ihr durchs Haar gefahren waren. Sie hatte die Nase voll. Sie wollte zurück ins Hotel. Ihre Leidenschaft für Ägypten betraf die alte ägyptische Kultur mit ihren Kunstwerken und Rätseln. Das moderne städtische Ägypten war an einem Tag ein bißchen zuviel für sie. Sie wollte lieber zu den Denkmälern hinausfahren, zum Beispiel nach Saqqara. Vor allem aber wollte sie sich in Oberägypten umschauen, auf dem Land. Sie wußte, daß es dort so sein würde, wie sie es sich erträumte.
An der nächsten Ecke bog sie nach rechts ab und mußte um einen Maulesel herumgehen, der entwederschon tot war oder im Sterben lag. Jedenfalls regte er sich nicht, und niemand schenkte dem armen Vieh Aufmerksamkeit. Bevor sie das Hilton verlassen hatte, hatte sie sich den Stadtplan genau angesehen, und in ihrer Erinnerung müßte sie, wenn sie sich weiterhin südöstlich hielt, vor der El-Azhar-Moschee anlangen. Erica zwängte sich zwischen einer Horde Händler
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