Der Fluch der Sphinx
Amun an seinem Grab, und Emeni hatte lediglich den Nachtwächter der Arbeiterhütten mit Bier und zwei Maß Korn zu bestechen brauchen. Wahrscheinlich war selbst das überflüssig gewesen, denn Emeni hatte sich das Eindringen in Tutanchamuns Haus der Ewigkeit während des großen Ope-Festes vorgenommen. Alle Arbeitskräfte und Amtsträger der Totenstadt sowie die Mehrzahl der Einwohner von Emenis Dorf, Hort der Wahrheit, waren in der Stadt Theben am Ostufer des Nils zusammengekommen, um zu feiern. Dennoch war Emeni trotz aller Vorsichtsmaßnahmen so ruhelos wie nie zuvor in seinem Leben, und er trieb sich zu immer schnellerer Arbeit mit Fäustel und Meißel an. Die Steinplatte vor ihm neigte sich mit einem Knirschen nach hinten und fiel mit dumpfem Schlag auf den Boden der vorderen Grabkammer. Emenis Herz schien vor Schreck stillzustehen, denn halb befürchtete er, die Dämonen der Unterwelt könnten sich auf ihn stürzen. Statt dessen aber drangen aromastarke Gerüche von Zedernholz und Weihrauch an seine Nase, und das Schweigen der Unendlichkeit umgab ihn. Vor Angst und Ehrfurcht zitternd, kroch er vorwärts und schob seinen Kopf durch die Öffnung in die Gruft. Es herrschte undurchdringliche Finsternis. Er blickte zurück in den Tunnel und sah in der Ferne den Mondschein, vor dem sich Kemese schattengleich ihm näherte. Er tastete wie ein Blinder umher, versuchte Emeni die Öllampe zu reichen.
»Kann ich hinein?« fragte Kemese in die Dunkelheit, nachdem er Lampe und Zunder weitergegeben hatte.
»Noch nicht«, flüsterte Emeni und machte sich ans Anzünden der Lampe. »Kehre um und sage Iramen und Amasis, daß es noch ungefähr die Hälfte einer Stunde dauern wird, bis wir mit dem Wiederauffüllen des Stollens beginnen können.«
Kemese murrte vor sich hin und kroch rückwärts wie ein Krebs durch den Gang wieder hinaus.
Ein Funke entsprang dem Feuerrad und brachte den Zunder zum Schwelen. Flink hielt Emeni ihn an den Docht der Öllampe. Licht flammte auf und durchdrang die Finsternis wie ein warmer Lufthauch ein kaltes Gemach.
Emeni stand wie versteinert; seine Knie drohten ihren Dienst zu versagen. Im unruhigen Zwielicht sah ihn das Antlitz eines Gottes an; es war Amnut, Verschlinger der Toten. Die Öllampe wackelte in seinen zitternden Händen, und er wich zurück. Aber der Gott trat nicht näher. Dann erkannte Emeni, als der Lichtschein über das goldene Haupt der Gottheit flackerte, die Elfenbeinzähne und die schlanke, stilisierte Gestalt erleuchtete, daß es sich um eine Grabfigur handelte. Noch zwei weitere Figuren waren zu sehen, eine hatte das Haupt einer Kuh, eine einen Löwenkopf. Zur Rechten befanden sich an der Wand zwei lebensgroße Standbilder des jungen Königs Tutanchamun, die den Eingang zur Grabkammer bewachten. Emeni hatte gesehen, daß man im Haus der Bildhauer bereits ähnliche Standbilder von Sethos I. schuf und vergoldete.
Beim Eintreten vermied Emeni sorgfältig, auf ein getrocknetes Blumengewinde zu treten, das auf der Schwelle lag. Er huschte geschwind umher und erspähte zwei vergoldete Schreine. Vorsichtig öffnete er einen nach dem anderen und hob die goldenen Statuen von ihren Sockeln. Die eine war eine auserlesen feine Darstellung Nekhbets, einer Geiergöttin Oberägyptens; die andere stellte Isis dar. Keine trug den Namen Tutanchamuns. Das war wichtig.
Emeni nahm Fäustel und Meißel, kroch unter das mit dem Abbild Amnuts verzierte Ruhebett und schlugschnell eine Öffnung in die Seitenkammer. Nach Amenemhebs Plänen waren die beiden anderen Statuen, die Emeni im Sinn hatte, in der kleineren Seitenkammer in einer Truhe. Eine Ahnung nahenden Unheils kroch in ihm hoch, doch er achtete nicht darauf. Emeni kroch mit vorgestreckter Öllampe hinein. Zu seiner Erleichterung gab es hier keine weiteren Kultgegenstände, die ihm Schrecken einjagen konnten. Die Wände bestanden aus grob behauenem Stein. Emeni erkannte sofort die Truhe, die er suchte, an dem schön geschnitzten Bildnis auf ihrer Oberseite. Es zeigte in erhaben gearbeitetem Schnitzwerk eine junge Königin, die Pharao Tutanchamun Sträuße aus Lotos, Papyrus und Mohnblumen darbot. Aber jetzt wurde es schwierig: Der Deckel war auf irgendeine besonders ausgeklügelte Weise verschlossen und ließ sich nicht ohne weiteres öffnen. Behutsam stellte Emeni die Öllampe auf ein rötlichbraunes Kästchen aus Zedernholz und unterzog die Truhe einer genaueren Begutachtung. Er war so vertieft und bemerkte nichts vom Treiben im
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