Der Fluch der Sphinx
Hupkonzert, vermischt mit den Mißtönen arabischer Musik, die aus zahllosen Kofferradios drang. Und schließlich der Schmutz, Staub und Sand, wovon die Stadt überzogen war wie ein mittelalterliches Kupferdach mit Grünspan, was die allgemeine Armut noch unterstrich.
Der Zwischenfall mit dem Jungen hatte Ericas Selbstvertrauen untergraben. Das Lächeln all dieser Männer mit ihren Käppchen und weiten Galabiyas schien in ihrer Vorstellung nur lüsterne Gedanken auszudrücken. Sie fand es schlimmer als in Rom. Jungen, die noch nicht einmal zehn waren, liefen ihr nach, kicherten und stellten ihr Fragen in einem Kauderwelsch aus Englisch, Französisch und Arabisch. Kairo war fremdartig, viel fremdartiger, als sie es sich ausgemalt hatte. Selbst die Straßenschilder trugen nur die zwar dekorative, aber völlig unverständliche arabische Schrift. Während sie über ihre Schulter die Shari el Muski hinauf zum Nil blickte, spielte Erica mit dem Gedanken, in den westlichen Teil der Stadt zurückzukehren. Vielleicht war der ganze Einfall, allein nach Ägypten zu reisen, wirklich albern gewesen. Richard Harvey, seit drei Jahren ihr Freund, und auch Janice, ihre Mutter, hatten diese Meinung geäußert. Sie drehte sich wieder nach vorn und schaute ins Herz der Altstadt. Die Straßen verengten sich, das Gewimmel der Menschen bot einen überwältigenden Eindruck.
»Bakschisch«, sagte ein kleines Mädchen von nicht mehr als sechs Jahren. »Bleistift für Schule.« Das Englisch klang flüssig, fast ohne Akzent.
Erica blickte auf das Kind hinunter, dessen Haar vomgleichen Staub wie dem der Straße dick bedeckt war. Es trug ein zerfleddertes, orangenfarbenes Kleid aus bedrucktem Stoff, aber keine Schuhe. Erica bückte sich, um das Mädchen anzulächeln. Sie stöhnte auf: An den Wimpern des Kindes saßen in dicken Trauben zahlreiche grünlich schillernde Stubenfliegen. Die Kleine unternahm keine Anstrengung, um sie fortzujagen. Sie stand nur da, ohne zu blinzeln, und hielt die Hand auf. Erica war starr vor Schreck.
»Safer!« Ein Polizist in weißer Uniform mit blauem Abzeichen, auf dem in deutlichen Buchstaben TOURIST POLICE zu lesen war, bahnte sich einen Weg zu Erica. Das Kind tauchte in der Menge unter. Die vorlauten Bürschlein verschwanden. »Kann ich Ihnen behilflich sein?« erkundigte er sich in gebrochenem Englisch. »Sie sehen aus, als hätten Sie sich verirrt.«
»Ich suche den Khan-el-Khalili-Basar«, sagte Erica.
»Tout à droîte«, sagte der Polizist und deutete voraus. Dann schlug er sich mit der Handfläche auf die Stirn. »Entschuldigung. Das liegt an der Hitze. Ich bin mit den Sprachen durcheinandergekommen. Geradeaus, wollte ich sagen. Dies ist die El-Muski-Straße, und wenn Sie dort vorn die Hauptdurchgangsstraße Shari Port Said überqueren, sehen Sie links den Khan-el-Khalili-Basar. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Bummel, aber vergessen Sie nicht, zu feilschen. Das gehört hier in Ägypten mit dazu.«
Erica dankte ihm und schob sich weiter durchs Gedränge. Sobald der Polizist außer Sicht war, fanden sich die dreisten Knaben wie durch Zauberei wieder ein, und die unzähligen Straßenhändler bestürmten sie erneut mit ihren Waren. Sie kam an einem offenen Fleischerladen vorüber, vor dem lange Reihen frisch geschlachteter Lämmer hingen, das Fell bis unter die Köpfe abgezogen,gekennzeichnet mit Flecken von roter Tinte und amtlichen Stempeln. Die Tiere baumelten kopfüber herab, der Anblick ihrer toten Augen ließ Erica zusammenzucken, und die Ausdünstung von Fleischabfällen verursachten ihr Übelkeit. Der Geruch des Fleisches mischte sich mit dem leicht fauligen Duft überreifer Mangofrüchte von einem benachbarten Obstkarren und dem Gestank frischen Maultierkots auf der Straße. Ein paar Schritte weiter erholte sie sich wieder bei dem Geruch von scharfen Gewürzen und Kräutern sowie dem Duft frischgekochten arabischen Kaffees.
Die Menschenmenge wirbelte in der engen Straße unablässig Staub auf, der wie ein Schleier vor der Sonne hing und den wolkenlosen Himmel zu einem fahlen Blau verdunkelte.
Als Erica immer tiefer ins Gewirr des Basars eindrang, dem Knarren alter Holzräder auf Granitsteinen des Pflasters lauschte, fühlte sie sich zusehends in die mittelalterliche Epoche Kairos zurückversetzt. Sie empfand das Chaos, die Armut, die Härte des Daseins. Der rohe, ungehemmte Pulsschlag des Lebens, den die westliche Zivilisation so sorgfältig zu übertünchen und zu verdecken pflegt,
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