Der Fluch der Totenleserin totenleserin4
Während er seine Leute entlang des Zugs inspizierte, machte er kurz neben Adelia halt und verfluchte Henry, den Jüngeren und dessen Pflichtvergessenheit.
»Sind wir ohne ihn nicht besser dran?«, fragte Adelia.
»Vielleicht. Aber meine Männer müssen eine Prinzessin mit einem Schatz Kostbarkeiten bewachen, und sollte es tatsächlich zu einem Angriff kommen, von wem auch immer, könnten wir leicht überfordert sein.«
Die Reise beginnt unglücklich für sie. Henry, der Jüngere hat sie im Stich gelassen. Der große Narr, der Bischof von Winchester, beklagt sich,
mala tempora currunt
, doch ich sehe die Hand des Großen Meisters. Uns wird der Weg gewiesen, mein Lupus. Schicke uns Unglück,
o deo certe
, und ich werde die Schuld der Frau aufbürden, die wir vernichten wollen.
Kapitel fünf
Adelia behauptete aus persönlicher Erfahrung, im Damensattel zu reiten, sei schlecht für den Rücken. Im Übrigen war sie nicht unbedingt die geborene Reiterin und hielt es, sollte das Pferd scheuen oder durchgehen,für gefährlich, so schräg im Winkel zu sitzen. Sich mit gespreizten Beinen wie ein Mann auf dem Pferderücken zu halten, galt jedoch als unschicklich für eine Lady, so ritten Bauersfrauen, ganz besonders in den Augen der exaltierten Gesellschaft, in der sie sich gerade befand.
König Henrys Anweisungen an die drei Hofdamen folgend, hätte Adelia eigentlich in der luxuriös gepolsterten Kutsche mitreisen sollen, in der sich Joanna und die drei Schönen die Reisezeit damit vertrieben, ihre parfümierten Schoßhündchen zu necken, Karten zu spielen und die Landschaft zu betrachten, soweit sie zwischen den vergoldeten, verzierten Fenstergittern hindurch zu sehen war. Adelias erster Versuch, das zu tun, blieb allerdings auch ihr letzter.
Es war nicht so, dass die Prinzessin selbst unfreundlich zu ihr gewesen wäre, so verschlossen sie sein mochte. Lady Beatrix, Lady Petronilla und Mistress Blanche dagegen verzogen die Lippen und befragten sie nach ihrem »Sarazenenfreund« (»Sagt uns, meine Liebe, hat seine Haut wirklich diese Farbe oder ist es nur gegen seinen Glauben, sich zu waschen?«) und ihrer neuen Zofe (»Wir hoffen so sehr, dass Boggart sich als befriedigend erweist, und wie schön, dass sie sich so gut mit Eurem interessanten kleinen Hund versteht!«).
Nachdem sie das einen Morgen lang ertragen hatte, kehrte Adelia auf das Pferd zurück, das ihr überlassen worden war. Der Sattel war ein hübscher, aber sehr harter hölzerner
Sambue,
einer Art Schachtel mit drei Seitenwänden und einem Knauf, der ihr erlaubte, das rechte Bein anmutig über das linke zu legen. Ihre beiden Stiefel steckten dabei in den Steigbügeln, die verschieden hoch hingen. Im Passgang war die Haltung, die der Sattel verlangte, unbequem, im Trab die reinste Folter.
Adelia ritt neben Mansur und war mit den Gedanken bei Kaiserin Matilda, der Mutter Henrys II ., die den Schmähungen widerstanden hatte und sich während der Auseinandersetzungen mit ihrem Cousin Stephen um Englands Thron mit gespreizten Beinen aufs Pferd gesetzt hatte. »Die Plantagenets hätten niemals gewonnen, hätte sie sich auf einen Damensattel eingelassen«, grummelte sie auf Arabisch.
»Der Damensattel verleiht einer Frau Eleganz«, sagte Mansur.
»Er verdreht ihr das verdammte Kreuz.«
»Und Sittsamkeit.«
Da lag der Grund, dachte sie. Die Männer wollten die Frauen nur im Bett mit gespreizten Beinen, dabei war der weibliche Körperbau doch weit eher zum rittlings Reiten geeignet als der männliche mit seinen vorne herabhängenden Teilen.
Sie stöhnte. »Tausend Meilen Sittsamkeit, das werde ich nie überleben.«
»Dann setze dich wieder in die königliche Kutsche!«
»Zu den Harpyien? Da bin ich kaum willkommen.«
Wenigstens musste sie es sich zu Pferde nicht versagen, den Damen des Adels eins aufs Maul zu geben. Darüber hinaus konnte sie sich hin und wieder auch nach hinten zu den weniger wichtigen Teil nehmen der Reisegesellschaft zurückfallen lassen und bei Bedarf medizinischen Rat geben, natürlich immer nur nach Rücksprache mit Mansur.
Ihre Ankunft in der großen Benediktinerabtei von Mont-Saint-Michel würde, wie Locusta hoffte, gleichsam den Ton für die weiteren Stationen ihrer Reise vorgeben. Er war mit einem Bediensteten vorangeritten, um den Abt auf ihr Kommen vorzubereiten, und anschließend zu ihnen zurückgekehrt. Nun wies er ihnen den Weg. »Gott sei Dank haben wir Ebbe«, sagte er, als sie den Damm zur Insel erreichten. »Es
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