Der Fluch der Totenleserin totenleserin4
Falaise aufgebrochen ist, offenbar zu einem Turnier. Und alle Ritter mit ihm. Er bittet Euch, bis zu seiner Rückkehr in ein paar Tagen zu warten.«
Was die Prinzessin antwortete, war nicht zu verstehen, aber Adelia hörte, wie Lady Petronilla rief: »Ein Turnier? Oh, wie ich Turniere liebe! Wenn er uns doch nur mitgenommen hätte!«
Ein paar Tage?
Der jungen Frau mochte es egal sein, wie lange die Reise dauerte, sie hatte kein Kind, das auf ihre Rückkehr wartete.
Was Henry, den Jüngeren betraf … Es war bekannt, dass er versessen auf Turniere war, aber das hier war schiere Verantwortungslosigkeit. Welche Pflichtvergessenheit!
Adelia hatte einmal bei einem Besuch auf Emmas Besitz in der Normandie nicht weit von Calais einmal ein Turnier miterlebt, was für ihren Geschmack bereits eines zu viel gewesen war. Turniere sollten unterhalten. Zwei Rittermannschaften gingen damals in einem, wie es hieß, vorgetäuschten Gefecht aufeinander los, aber während des Gewühls waren vier junge Männer getötet und fünfzehn weitere dauerhaft versehrt worden. Die Reiz für die Gewinner bestand darin, dass sie für die geschlagenen Gegner, deren Rüstungen und Pferde, Lösegeld verlangen konnten. Damit ließ sich so viel Geld verdienen, dass meist gleich einige Hundert gierige Ritter zusammenkamen und nicht nur wertvolle Leben zerstörten, sondern auch im Umkreis vieler Meilen den Bauern die Ernte zertrampelten. Weise, wie er war, hatte Henry II . in England derlei Turniere verboten, hier aber, unter der offiziellen Herrschaft seines Sohnes, schienen sie noch erlaubt zu sein.
Adelia sah, wie Captain Bolt mit Rowley sprach, und ging zu ihm, als die beiden fertig waren. »Was können wir tun?«
»Nichts.« Bolt kochte innerlich. »Wir warten.«
Sie warteten vier Tage, während derer Caens Gastfreundschaft für die Prinzessin und ihr Gefolge zusammen mit den Vorräten dahinschmolz.
Am fünften Tag wurde ein Bote nach Falaise geschickt, um den jungen König zu fragen, wann denn nun mit seiner Rückkehr zu rechnen sei.
Wieder fragte Adelia Captain Bolt: »Wie steht es?«
»Der Bote musste weiter nach Rouen. Der junge Dre…« Bolt holte tief Luft. »Der junge Henry hat von einem anderen großen Turnier gehört und will auch daran teilnehmen.«
»Rouen, das sind rund achtzig Meilen. Was wollen wir tun?«
»Keine Ahnung, Mistress. Die Bischöfe, Sir Nicolas und Lord Ivo beraten sich gerade.«
Master Locusta, so schien es, war außer sich. Er hatte Angst, dass seine Verabredungen über die Beherbergung in den Schlössern und Klöstern, nicht mehr gelten mochten, wenn sie so viel später kamen. »Ich will ja nichts Schlechtes über den König sagen, aber wirklich …«
»Ich denke, Ihr habt alles Recht, in diesem Fall schlecht über den König zu sprechen«, erklärte ihm eine ungeduldige Adelia.
Die Besprechung dauerte einen weiteren Tag. Am siebten Tag dann fiel die Entscheidung. Ein weiterer Bote wurde zu Henry, dem Jüngeren nach Rouen geschickt, um ihm zu sagen, dass Prinzessin Joanna und ihr Tross es für notwendig erachteten, sofort nach Aquitanien aufzubrechen, und erwarteten, dass ihr Bruder und sein Tross unterwegs zu ihnen stießen.
So säumten am nächsten Morgen die Bürger Caens die Straße zum Südtor, um die Hochzeitskavalkade zu verabschieden, der Prinzessin zu Ehren und erleichtert, dass sie endlich weiterzog. Schließlich waren es insgesamt fast hundertfünfzig Personen, dazu die Tiere, die von der Stadt auf eigene Kosten untergebracht und genährt hatten werden müssen.
Adelia ritt mit Mansur weit vorne, sah hinter sich die lange, lange Kolonne und war beruhigt: Adlige, Beamte, Soldaten, Musiker und Knappen, persönliche Bedienstete, Wäscherinnen und Pferdeknechte, Gepäck und Kostbarkeiten, alles hatte seinen Platz auf Karren, Maultieren und Pferden gefunden, sodass niemand zu Fuß gehen musste, was die Reise beschleunigen würde.
So zog die Prozession über Land und kam durch entlegene kleine Dörfer, deren Bewohner aus ihren Behausungen traten, um zu bestaunen, was sie noch niemals zu Gesicht bekommen hatten: die erlauchte Prinzessin und die Hofdamen in ihrer güldenen Kutsche, in purpurne Seide gekleidete Reiter, Pferde in Schabracken, die in allen Farben des Regenbogens leuchteten, glänzende, schillernde Rüstungen … Wie ein juwelenbesetzter Drache aus mythischen Zeiten schob sich der Zug über die schweren, matschigen Straßen.
Captain Bolts erfahrenes Auge sah es jedoch anders.
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