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Der Fluch Des Bierzauberers

Der Fluch Des Bierzauberers

Titel: Der Fluch Des Bierzauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Thoemmes
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Das Wenige, das sie noch hatten, gaben sie den Kindern, besonders den beiden Kleinen. Dem ungeachtet waren alle fünf bald dermaßen schwach, dass sie nichts als Haut und Knochen waren. Mit gelblich schwarz gefärbter Haut, tief in den Höhlen liegenden Augen, fleckigen Zähnen und geschwollenen Bäuchen zogen sie durchs Land, wie so unglaublich viele andere, ziellos wie ein Stück Treibholz in einem stürmischen Meer. Sie waren ihr eigenes, kleines Bettlerheer geworden. Den schon gründlich zu Schaden gekommenen Leiterwagen ließen sie irgendwann einfach stehen. Zu anstrengend war es geworden, ihn zu ziehen. Außerdem hatten sie auch nichts mehr, was sie in den Karren hätten legen können. Die Kleider zerlumpt und rissig, schleppten sie ihre ausgemergelten Körper durch die Lande. An den Füßen trugen sie Stroh, das anfangs noch mit Schnüren festgebunden worden war, mittlerweile jedoch nur noch durch den Matsch der Straße zusammenhielt. Sie aßen Gras und Wurzeln und schabten Rinde von den Bäumen. Wenn sie ein Tier hätten fangen können, sie hätten es auch roh gefressen. Sie kauten auf alten Tierfellen herum, um ihren Mägen vorzugaukeln, sie erhielten Nahrung. Das Elend war unbeschreiblich.

     
    Es war September, als Gisbert an Hunger starb. Sie hatten ihn für so stark gehalten, den beinahe dreizehnjährigen Jungen. Aber anscheinend hatten sie sich zu sehr um die beiden Jüngeren gekümmert, die dennoch ebenfalls kurz vor dem Tod standen. Gisbert war eines Tages einfach umgefallen und nicht mehr aufgestanden. Knoll und Magdalena hatte die Kraft gefehlt, ihn zu tragen, so hatten sie Rast gemacht und versucht, ihm ihren allerletzten Kanten schimmeliges Brot zwischen die Zähne zu zwängen, es war aber bereits zu spät. Ohne zu jammern, ohne Wehklagen hatte Gisbert mit ihnen gelitten. Cord Heinrich Knoll machte sich schreckliche Vorwürfe. Sie waren sogar zu schwach, um ihn zu begraben, sie ließen ihn einfach am Wegesrand liegen, als einen der zahlreichen Körper, die dort vor sich hin verwesten.

     
    Die Wolken hoben sich düster vom schweflig gelben Sonnenuntergangshimmel ab. Kein Luftzug, kein Zweig rührte sich. Alles war still, als habe ein plötzliches Grauen das Leben ringsherum gelähmt, als sie Anfang Oktober 1635 an die südliche Pforte der Stadtmauer einer kleinen Stadt anklopften. Sie wussten alle, dass sie nicht mehr lange zu leben hatten.

    »Wer begehrt Einlass? Kommt Ihr aus der Richtung von Wolsfeld?«, fragte eine laute Stimme durch das Gitter der dicken, eisenbeschlagenen Tür. In Wolsfeld, einem kleinen Ort etwa acht Kilometer entfernt, grassierte nämlich gerade die Pest.

    »Lasst uns ein, wir sind am Verhungern. Unsere Kinder liegen im Sterben.« Knolls Stimme war bereits merklich schwächer geworden.

    »Wir lassen kein Landvolk mehr in die Stadt, wir haben selbst kaum genug zu beißen«, kam als höhnische Erwiderung genau die Antwort zurück, die Knoll befürchtet hatte.

    »Wir sind kein Landvolk«, erwiderte er, bevor er mit der letzten, ihm verbliebenen, würdigen Demut betonte: »Ich bin der bürgerliche Brauherr Cord Heinrich Knoll.«

    Dann fiel er vor Hunger und Entkräftung einfach um.  

     

7.
    Zwei Tage und Nächte lang schlief Knoll durch.

    Er merkte nicht, dass ihm zwischendurch heiße Suppe eingeflößt wurde.

    Er merkte nicht, wie er ausgezogen, gewaschen und gepflegt wurde.

    Er merkte nicht, wie er in seinen Alpträumen sein Leid hinausschrie.

    Er schrie von Blutgerichten, geschändeten Frauen und toten Kindern, vom Fegefeuer und Zerstörung, vom Weltende und der ewigen Verdammnis. Als er endlich erwachte, hatte sich seine Familie bereits in Sorge um ihn versammelt. Der Geruch der herzhaften Suppe und des frisch gebackenen Brotes war unbeschreiblich köstlich und erweckte ihn wieder zum Leben. Die Kinder hatten sich erstaunlicherweise am schnellsten erholt, Suppe und Brot wirkten bisweilen wahre Wunder. Auch Magdalena war körperlich ziemlich rasch genesen, obwohl sie die kleine Lisbeth die meiste Zeit mittragen musste. Sie hatte, da sie durch jahrelange Teilnahme am Kriegswesen mit einem robusten Gemüt ausgestattet war, die erlittenen und mit angesehenen Scheußlichkeiten am besten verarbeitet. Außer den ausgefallenen Zähnen war allen Dreien auf den ersten Blick kaum mehr etwas anzusehen.

    »Wo bin ich? Wo sind wir?«, waren Knolls erste Fragen.

    »Im Hospiz in Bitburg«, antwortete Magdalena. »Weil wir eine Bürgerfamilie sind, haben sie uns Einlass in

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