Der Fluch Des Bierzauberers
Höhle. Quer durch das Reich. Immer auf der Flucht. Die erzählten bisweilen die erstaunlichsten Geschichten. So wie die Familie aus dem Hunsrück, die vor Tillys Truppen Zuflucht auf ihrer heimatlichen Burg Koppenstein gesucht hatten. Tilly belagerte die Burg, die Lage wurde immer verzweifelter, das Wasser wurde knapp. In der großen Not grub man die Brunnen tiefer und tiefer, bis ein Brunnen plötzlich nachgab und eine Wand durchbrach. Dahinter fand man eine riesige Höhle, in welche die Bevölkerung der gesamten Burg mit Sack und Pack einzog und die Wand hinter sich verschloss. Die Eroberer erstürmten eine leere Burg, konnten sich das rätselhafte Verschwinden der Burgleute nicht erklären und zogen unverrichteter Dinge ab, da es in der Burg nichts zu erbeuten gab.
Die Zuhörer lachten trotz ihres eigenen Elends lauthals über diese Geschichte und Knoll wünschte sich, ganz Magdeburg hätte sich vor Tilly in einer Höhle verstecken können.
Des Öfteren fragte er sich, wie er in eine solche Situation geraten konnte. Er, der einstmals geachtete, gut beleumundete Bürger, der wohlhabende Brauherr aus Magdeburg, klug, erfahren und stark. Nie hatte er aufbegehrt gegen die Obrigkeit, hatte brav seinen Platz eingenommen, auf den ihn die Vorsehung gestellt hatte. Anständig war er gewesen, hatte immer seine Steuern bezahlt und seine Pflichten erfüllt. Trotzdem war er nicht beschützt worden. Und trotzdem hatte das Schicksal ihm so übel mitgespielt, dass er nun in einer Höhle leben musste. Er lebte, immerhin, aber sein Vertrauen in die gottgegebene Gesellschaftsordnung war merklich erschüttert. Hilflosigkeit war das, was er am heftigsten empfand. Keine Möglichkeit blieb ihm, wirklich aktiv gegen sein Schicksal aufzubegehren. Nichts, außer schimpfen und fluchen.
Einmal versuchte er sich am Bierbrauen, ließ sich eine kleine Menge der kargen Getreideernte zuteilen, vermälzte diese unter primitiven Bedingungen und präsentierte am Ende ein dünnes, hopfenloses Gersten- und Haferbier, das dennoch von allen mit Genuss getrunken wurde.
Als sie endlich beschlossen, dass es genug sei, dass der Krieg nun wohl vorbei sein müsse, hatten sowohl Cord Heinrich Knoll als auch Magdalena die dreißig Jahre gerade überschritten, Gisbert war zwölf und der kleine Ulrich sechs Jahre alt. Und die kleine Lisbeth Magdalena, in der Kakushöhle geboren, zählte zwei Jahre. Sie war insofern eine Kuriosität, als dass sie zweimal getauft worden war. Einmal reformiert und einmal katholisch, jeweils von einem Elternteil, ohne Wissen des anderen. Mehr als drei Jahre lang hatten die Knolls als Höhlenmenschen gelebt. Man schrieb das Frühjahr 1635. Nur eine einzelne, zerrissene weiße Wolke hing einsam an einem ansonsten unwiderstehlich blauen Frühlingshimmel, als die Familie die Kakushöhle für immer verließ …
Und während sie in der Höhle dahinvegetierten, war in einem anderen Teil Deutschlands, im hessischen Homburg, am 30. März 1633 die Geburt des kleinen Prinzen Friedrich von Homburg gefeiert worden. Die Geburt eines Menschen, der viele, viele Jahre später so dramatisch ins Leben der Familie Knoll eingreifen sollte.
6.
Leider war der Krieg keineswegs vorbei, sondern es hatten sich lediglich erneut Schauplatz und Protagonisten geändert. Das katholische Frankreich beteiligte sich nun an der Seite des protestantischen Schweden am internationalen Schlachtfest. Dadurch geriet die Katholische Liga unter Druck, und der Krieg verlagerte sich nach Süddeutschland.
Zur gleichen Zeit begann jedoch überall, in ganz Deutschland, für die Bevölkerung der grausamste Teil des Krieges: Die, vom nun bereits beinahe zwanzig Jahre andauernden Krieg, völlig verrohten Söldner kannten inzwischen keine Grenzen mehr, was das Drangsalieren der Landbevölkerung anging. Das Magdeburgisieren wurde der traurige, der entsetzliche Standard. Überall zogen kleinere, verwahrloste Heere durchs Land, zu Wallenstein, Pappenheim, den Bayern, Franzosen, Spaniern, Holländern oder Schweden gehörig, schlugen hier und da eine bedeutungslose Schlacht, die sie jeweils zum Anlass nahmen, die Bürger und Bauern zu schröpfen. Bisweilen kam es auch zu grausamen Missverständnissen, wie in Donauwörth, wo die Schweden zuerst die reformierten Bürger vom katholischen Joch erlösten und anschließend versehentlich massakrierten.
Besonders diese schwedischen Söldner erlangten traurige Berühmtheit durch ihren
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