Der Fluch Des Bierzauberers
auszugraben, um mit deren Leichnamen ihren unsäglichen Hunger zu stillen. Alle wussten um den Frevel und die Strafen, die der Entdeckung dieser Gräueltaten folgen würden. Indes, alles war besser, als elendig den Hungertod zu sterben.
Grimmig merkte Magdalena an: »Wenn man überall vergebens um Nahrung angesucht hat, dann klopft man schließlich bei seinen Ahnen an.«
Niemand beachtete sie, niemand hatte Angst vor ihnen oder davor, dass sie die hungrigen Totengräber verraten könnten. Sie waren wie Schatten, die durch diese grausame Welt huschten.
In der Nähe von Wittlich, nicht weit entfernt vom großen Moselfluss, sahen sie von Weitem einen Bauernhof, bei dem sie um Lebensmittel nachfragen wollten. Ein schöner, großer Hof, mit einem Hauptgebäude in Fachwerkbauweise, daneben eine große Scheune, deren untere Hälfte gemauert und die obere ebenfalls als Fachwerk errichtet war. Dazu gab es noch zwei kleine Holzschuppen und einen kleinen Teich.
»Ob das vielleicht sogar der Hof eines Gutsherren ist?«, fragte Magdalena.
Knoll war skeptisch. Und das zu Recht. Schon das fehlende Anschlagen eines Hofhundes hätte sie warnen müssen. Ebenso vermissten sie die normalerweise um einen Hofteich flatternden Enten oder Gänse. Auch sonst waren keine Vögel in der Luft. Kein lautes Geschnatter, kein wütendes Bellen, kein Gezwitscher, kein Geräusch. Nichts. Gespenstische Stille. Totenstille. Als sie näher kamen, sahen sie die halbverbrannten Dächer der Gebäude. Ein Regenguss hatte anscheinend dafür gesorgt, dass nicht alles abgefackelt worden war. Sogar das Toilettenhäuslein etwas abseits war teilweise verbrannt. Das herzförmige Schild an der Tür, auf dem mit ungelenker Schrift ›Unsere Heymlichkeit‹ geschrieben stand, war mit Ruß verschmiert. War der Hof verlassen? Vielleicht gab es doch noch etwas zu holen. Die Hoffnung starb zuletzt. Trotz des bestialischen Gestanks, einer Mischung aus feuchtem Moder, dem Odeur von geronnenem Blut und dem alles überlagernden, allen Menschen dieser Zeit sattsam bekannten, süßlichen Geruch verwesenden Fleisches, für den es jedoch keine augenscheinliche Quelle gab, der einfach überall präsent war.
In der Stube war niemand. Die Speisekammer wie leergefegt. Die wenigen Möbel lagen wüst im Zimmer durcheinander, teilweise zertrümmert. In einer Ecke stand ein kleines Krautfass, gerade so groß wie ein Eimer. Dem Gewicht nach zu urteilen, war es voll. Sollten die Marodeure tatsächlich etwas übersehen haben? Knoll glaubte, dass es wohl eher verloren gegangen war, im Wirbel der Ereignisse während einer Plünderung. Er nahm das Fass und gab es Magdalena, die er dann mit den Kindern wegschickte. Hier wollte er allein weiter nach dem Rechten sehen. Zu oft hatten die Kinder bereits unfreiwillig Gräulichkeiten mit ansehen müssen. Wenn es nicht sein musste, dann wollte er ihnen das ersparen. Was er in der Scheune dann sah, ließ sogar dem inzwischen hart gesottenen Brauer die Galle hochkommen. Die Frau, zwei Großeltern und drei Kinder hingen nackt und tot an den hölzernen Wänden, die die Ställe voneinander trennten. Die räuberischen Söldner hatten die ganze Familie gekreuzigt, wohl bei lebendigem Leib und sicher nicht, ohne die weiblichen Mitglieder vorher zu schänden. Am Schlimmsten, sofern es noch schlimmer ging, hatte es jedoch den Bauern selbst getroffen. Tot und zuvor grün und blau geschlagen hing er, festgebunden, auf einem hölzernen Bock, der in einer eingetrockneten Blutlache stand. Ein Ladestock einer Muskete, schwarz vom geronnenen Blut, steckte tief in seinem After. Zudem hatte man ihm die Hoden mit einer Zange abgekniffen, die nun blutverschmiert am Boden vor sich hin rostete. Welche Schmerzen musste der arme Mann erduldet haben, bevor man ihn, auf dem Bock liegend, in dieser Position einfach hatte verbluten lassen?
Mäuse und Ratten tummelten sich furchtlos und benagten die bereits verwesenden, stinkenden Körper. Schnell verließ Knoll den Ort des Grauens, nicht ohne die zu verfluchen, die dies angerichtet hatten. Dazu sprach er ein Gebet für die arme Familie. Wie ekelte es ihn vor diesem Krieg! Dann kehrte er mit aschfahlem Gesicht zu seiner Familie zurück und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Gott in diesem Krieg wohl gestorben war.
Sie wurden mit jedem Tag schwächer. Das schon leicht verdorbene Sauerkraut hatte sie ein paar Tage über Wasser gehalten und zumindest verhindert, dass ihnen die Zähne noch weiter ausfielen.
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