Der Fluch des Denver Kristoff
einen Meter hoch stand. Aus einer der Schubladen (da die Kommode auf dem Rücken schwamm, öffneten sie sich jetzt nicht mehr waagrecht, sondern senkrecht nach oben) fischte Cordelia das Streichholzheftchen heraus, das ihr gerade wieder eingefallen war. Sie entzündete die Fackeln an den Wänden, die gespenstisch zuckende Schatten auf die ängstlichen Gesichter der Geschwister warfen.
»Also, was ist jetzt? Kommt ihr freiwillig raus?«, fragte Gilliam von draußen.
»Niemals!«, rief Eleanor zurück.
»Sei’s drum«, sagte Gilliam. »Eigentlich will unser Käp’n euch ja lebendig haben, aber in der Hitze des Gefechts kann man für nichts garantieren. Pass auf dein anderes Ohr auf, Söhnchen, wenn du eine halbwegs anständige Leiche abgeben willst!«
Brendan, Cordelia und Eleanor zuckten zusammen, als sie ihn durch die Tür laut rufen hörten: »Seid ihr bereit, Männer?«
Plötzlich wurde ihnen klar, dass das Geplatsche auf dem überfluteten Gang unmöglich von nur einem Piraten kommen konnte. Ein ganzer Chor rauer Piratenstimmen brüllte »Aye!«, bevor sie das Feuer auf die Tür eröffneten.
46
D ie Geschwister duckten sich und tauchten unter Wasser – eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, wie sie gleich darauf feststellten: Der Kugelhagel hatte auf dem metallenen Türblatt nur ein paar kleine Dellen hinterlassen, die an einen großflächigen Akneausbruch erinnerten.
»Ein Glück, dass diese Piraten technisch nicht gerade auf dem neuesten Stand sind«, sagte Brendan. »Diese Idioten schießen mit Bleikugeln auf eine Stahltür! Netter Versuch, Jungs! Euer Pech, dass Denver Kristoff euch nicht ein bisschen schlauer gemacht hat!«
»Warte nur, bis ich dich in die Finger kriege! Den Rest von deinem Ohr abbeißen, das werde ich!«, versprach Gilliam.
»Hoho, jetzt machst du mir aber Angst!«, schrie Brendan zurück. »Vor so einer Lachnummer wie dir, mit nur einer Pobacke und einem albernen Delfin-Tattoo im Gesicht, fürchte ich mich bestimmt nicht!«
»Schluss jetzt, Bren!«, sagte Cordelia. »Wenn wir Will und Penelope befreien wollen, sollten wir zusehen, dass wir hier rauskommen, klar?«
Draußen vor der Tür warf Gilliam einen schiefen Blick auf seine Piratenfreunde, die seine Tätowierung anstarrten, als sähen sie diese zum ersten Mal. »Was hast du denn bitte schön an meinem Tattoo auszusetzen, wenn ich fragen darf?«, fragte er durch die Tür.
»Das sieht total lächerlich aus«, gab Brendan zurück. Cordelia schüttelte warnend den Kopf, während sie fieberhaft den Raum nach einem zweiten Ausgang absuchte. Wir müssen so schnell wie möglich zu Will und Penelope. Wahrscheinlich haben die Piraten sie längst zu ihrem Schiff gebracht .
»Lächerlich?«, knurrte Gilliam.
»Bei einem Piraten erwartet man doch etwas richtig Furchteinflößendes«, sagte Brendan, »eine Schlange vielleicht oder eine Riesenspinne … ein Skorpion ginge auch noch, aber ein Delfin ist echt kindisch!«
»Ich werd dir mal was sagen«, schäumte Gilliam vor der Tür, »Delfine sind die gefährlichsten, gemeinsten Kreaturen der Meere! Das hab ich gehört! Ein Delfin kann einem ausgewachsenen Mann in wenigen Sekunden das Fleisch von den Knochen reißen!«
»Du Idiot! Du kannst wohl einen Delfin nicht von einem Hai unterscheiden«, sagte Brendan.
Eleanor flüsterte wütend: »Brendan! Hör auf, dich mit dem Kerl zu streiten. Das bringt doch nichts!«
»Und ob ich das kann! Delfine sind Menschenfresser! Gefährliche Killer! Raubtiere!«, brüllte Gilliam. Von den anderen Piraten war halblautes Gemurmel zu hören.
»Was guckt ihr so blöd?«, schnauzte Gilliam. Schließlich räusperte sich einer seiner Kumpanen: »Wir wollten’s dir schon lange sagen, Gilliam.«
»Was wolltet ihr mir sagen, Scurve?«
»Dass Delfine ganz liebe, gutmütige, intelligente Tiere sind. Kit und Phenny wollten dir einen Streich spielen, deshalb haben sie dir statt eines Hais einen Delfin …«
Weiter kam er nicht, Gilliams Faust traf seine Nase. Scurve wehrte sich mit einem Tritt in die Magengrube – und im nächsten Augenblick war zwischen den beiden ein hitziger, ziemlich schwerfälliger Faustkampf entbrannt.
Brendan grinste zufrieden. »Seht ihr, mein Plan funktioniert!«
»Welcher Plan?«, fragte Cordelia. »Hilf uns lieber, einen zweiten Ausgang zu finden!«
Gemeinsam mit seinen Schwestern durchpflügte Brendan das Wasser, in der Hoffnung, vielleicht irgendwo eine versteckte Tür übersehen zu haben. Draußen auf dem Gang
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