Der Fluch des Khan
Hafenstadt Shanghai sorgte das Schiff sofort für Aufsehen. In Windeseile verbreitete sich die Kunde von der Rückkehr der Soldaten, die dreizehn Jahre nach dem gescheiterten Angriff auf Japan wieder aufgetaucht waren. Sendboten der Regierung nahmen Temur und seine Männer in Empfang und brachten sie zu einer Audienz beim Kaiser in die Hauptstadt Ta-tu. Auf dem Weg dorthin erkundigte sich Temur bei seinen Begleitern, was sich auf dem Schlachtfeld und im Reich während seiner Abwesenheit ereignet habe.
Ein Großteil der Nachrichten war entmutigend. Der Angriff auf Japan war eine einzige Katastrophe gewesen, berichtete man ihm, da ein Taifun mehr als zweitausend Schiffe vernichtet und fast hunderttausend Männer getötet habe. Sehr zu seinem Kummer erfuhr er, dass sein Oberbefehlshaber und viele seiner Kameraden nicht mit den Überresten der Flotte zurückgekehrt waren. Nicht weniger beunruhigend war die Mitteilung, dass die japanischen Inseln noch immer nicht erobert waren. Zwar wollte Khubilai Khan einen dritten Eroberungsversuch unternehmen, doch seine Ratgeber hatten ihm dies klugerweise ausreden können.
In etwas mehr als einem Jahrzehnt war die Vormachtstellung des gesamten Reiches erschüttert worden. Nach der Niederlage vor der japanischen Küste war auch ein Kriegszug gegen das unbotmäßige Vietnam gescheitert, und zugleich hatten die Kosten für den Ausbau des Großen Kanals nach Chung-tu beinahe zu einem Zusammenbruch der Wirtschaft geführt.
Zudem machte man sich um den Gesundheitszustand des Kaisers Sorgen und befürchtete Schlimmes, was seinen Nachfolger betraf. Insgeheim murrte das Volk darüber, dass das Reich der Mitte von einem Mongolen regiert wurde. Und jetzt gab es allem Anschein nach kaum noch Zweifel, dass die Yüan-Dynastie des Khubilai Khan, der 1279 die Song besiegt und China unter einem Herrscher vereint hatte, in einem langsamen Niedergang begriffen war.
Bei ihrer Ankunft in der Hauptstadt Ta-tu wurden Temur und seine Männer in den kaiserlichen Palast gebracht und in die Privatgemächer des Herrschers geleitet. Temur, der Khubilai Khan in früheren Jahren des Öfteren gesehen hatte, erschrak beim Anblick seines obersten Kriegsherrn. Ein fetter, abgespannt wirkender Mann, der ihn mit einem mürrischen Blick aus seinen schwarzen Augen musterte, ruhte, in kostbare Seidengewänder gekleidet, auf einer gepolsterten Liege. Aus Trauer über den kürzlichen Tod seiner Lieblingsfrau und den Verlust seines zweiten Sohnes hatte Khubilai Khan in Speis und Trank Trost gesucht und sprach beidem im Übermaß zu. Zwar hatte er das erstaunliche Alter von achtzig Jahren erreicht, doch jetzt ruinierte die hemmungslose Völlerei die Gesundheit des Herrschers. Temur bemerkte den entzündeten, von der Gicht geplagten Fuß des Khans, der auf einem Kissen ruhte, während Krüge mit vergorener Stutenmilch in Reichweite standen.
»Temur, du bist nach langer Abwesenheit zurückgekehrt, um dich wieder deiner Pflicht zu widmen«, stellte der Khan mit heiserer Stimme fest.
»Wie der Kaiser befiehlt«, erwiderte Temur und verbeugte sich tief.
»Berichte von deinen Reisen, Temur, und dem geheimnisvollen Land, an dem du gestrandet bist.«
Kunstvoll geschnitzte Stühle wurden für Temur und seine Männer gebracht, worauf der mongolische Kommandeur von dem heftigen Taifun berichtete, der sein Schiff von Japan weggeweht hatte, und den anschließenden Entbehrungen, als sie hilflos auf dem Meer getrieben waren. Während Becher mit Stutenmilch herumgereicht wurden, schilderte er die glückliche Landung auf der grünen Insel und den Empfang durch die Eingeborenen. Dann stellte er Mahu vor und erzählte, dass ihm der Alte beim Segeln des Katamarans über die offene See geholfen habe, bis sie auf den muslimischen Händler gestoßen seien.
»Eine bemerkenswerte Fahrt«, lobte der Khan. »Waren die Ländereien, auf die du gestoßen bist, reich und fruchtbar?«
»Außerordentlich. Der Boden ist sehr ergiebig, und da das Klima mild ist und viel Regen fällt, gedeiht dort eine Vielzahl von Wild- und Nutzpflanzen.«
»Glückwunsch, mein Herr«, sagte ein runzliger Mann mit weißem Bart, der neben dem Khan stand. Der konfuzianische Ratgeber des Herrschers war offenbar nur mäßig beeindruckt von der Erzählung und den geladenen Gästen. »Ihr habt dem Reich wieder neue Ländereien gewonnen.«
»Ist es wahr, dass du eine Garnison zurückgelassen hast?«, fragte der Khan. »Stehen die Länder jetzt unter mongolischer
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