Der Fluch des Khan
werden.
Obwohl die chinesischen Streitkräfte zahlenmäßig weit überlegen waren, bedeuteten sie für die Japaner mit ihrer besseren Ausrüstung, Ausbildung und Disziplin keinen ebenbürtigen Gegner. Chiang Kai-shek, der seine Möglichkeiten nach besten Kräften nutzte, leistete den Japanern tagsüber Widerstand, zog sich bei Nacht zurück und versuchte ihnen so einen Abnutzungskrieg aufzuzwingen, um ihren Vormarsch aufzuhalten.
Hunt horchte auf das Donnern der näher rückenden japanischen Artillerie, die vom Fall Pekings kündete, und er wusste, dass die Chinesen in ernsthaften Schwierigkeiten steckten.
Anschließend war vermutlich Nanking fällig, die Hauptstadt, was zu einem weiteren Rückzug von Chiang Kai-sheks Armee nach Westen führen würde. Mit dem dumpfen Gefühl, dass auch ihm eine Niederlage drohte, warf er einen Blick auf seine Armbanduhr und wandte sich dann an Tsendyn.
»Sagen Sie den Chinesen, sie sollen die Ausgrabungen gegen Mittag beenden. Wir sichern die Artefakte und vervollständigen heute Nachmittag den Abschlussbericht über die Grabungsstätte, dann schließen wir uns der Karawane in Richtung Westen an.«
Er warf einen Blick zur Straße und sah eine Horde abgehalfterter nationalistischer chinesischer Soldaten auf der Fluchtroute entlangziehen.
»Brechen Sie morgen mit dem Flugzeug nach Nanking auf?«, fragte Tsendyn.
»Vorausgesetzt, die Maschine kommt. Aber unter diesen Umständen hat es keinen Sinn, wenn ich nach Nanking fliege.
Ich habe vor, die wichtigsten Funde mitzunehmen und nach Norden zu fliegen, nach Ulan-Bator. Sie müssen zusehen, dass Sie die übrigen Sachen, die Ausrüstung und die Vorräte mit den Tragtieren wegschaffen, fürchte ich. In ein paar Wochen sollten Sie in Ulan-Bator zu mir stoßen. Ich warte dort auf Sie, bevor ich mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Westen fahre.«
»Ein kluger Entschluss. Offenbar bricht der Widerstand hier in der Gegend zusammen.«
»Die Innere Mongolei ist für die Japaner von geringer strategischer Bedeutung. Wahrscheinlich werden sie nur die Überreste der Verteidigungstruppen aus Peking jagen«, sagte er und deutete in Richtung des fernen Artilleriefeuers. »Ich nehme an, sie werden sich in Kürze zurückziehen und ein paar Tage, vielleicht auch ein paar Wochen lang Peking plündern, bevor sie die Offensive wieder aufnehmen. Damit haben wir jede Menge Zeit, uns abzusetzen.«
»Sehr bedauerlich, dass wir jetzt wegmüssen. Wir sind mit der Ausgrabung des Pavillons der großen Harmonie fast fertig«, sagte Tsendyn, während er das Labyrinth der Gräben betrachtete, die sich ringsum wie ein Schlachtfeld aus dem Ersten Weltkrieg erstreckten.
»Ein verdammter Jammer ist es«, sagte Hunt und schüttelte wütend den Kopf. »Auch wenn wir nachgewiesen haben, dass die Grabungsstätte bereits geplündert wurde.«
Hunt trat nach ein paar ausgegrabenen Bruchstücken einer Steinsäule und sah zu, wie sich der Staub über die Überreste des einst so eindrucksvollen kaiserlichen Bauwerks legte. Während der Großteil seiner Archäologenkollegen in China nach prähistorischen Grabstätten voller Bronzeartefakte suchte, konzentrierte sich Hunt auf die weitaus jüngere Yüan-Dynastie. Das hier war bereits der dritte Sommer, den er auf dem Gelände von Shang-tu zubrachte, um die Überreste des 1260 gebauten kaiserlichen Sommerpalastes freizulegen. Wenn man den trostlosen, mit frischen Erdhaufen übersäten Hang betrachtete, konnte man sich die einstige Pracht der Anlagen und des Palastes, der hier vor fast achthundert Jahren gestanden hatte, kaum vorstellen.
Die erhaltenen chinesischen Aufzeichnungen liefern zwar nur ungenügende Auskünfte, doch Marco Polo, der venezianische Abenteurer und Forschungsreisende, der in seinem Buch »Von Venedig nach China« einen anschaulichen Bericht über die Seidenstraße und das China des dreizehnten Jahrhunderts verfasste, hinterließ eine eindrucksvolle Schilderung von Shangtu zu seiner Hochzeit. Der Palast, auf einem mächtigen Hügel im Zentrum einer von Mauern umfriedeten Stadt errichtet, war ursprünglich von Wäldern aus umgepflanzten Bäumen umgeben und von Fußwegen durchzogen, die mit Lapislazuli belegt waren und der Anlage einen zauberhaften blauen Glanz verliehen. Inmitten prachtvoller Gärten mit Teichen und Springbrunnen stand eine Reihe von Regierungsgebäuden und Wohnhäusern, die den Ta-an Ko umringten, den »Pavillon der großen Harmonie«, der den kaiserlichen Palast darstellte. Die
Weitere Kostenlose Bücher