Der Fluch des Lono (German Edition)
kurze Strecken und kleine Schläfchen, aber bei Langstreckenflügen eignet sich die 747 für einen freischaffenden Profi weitaus besser: Sie bietet eine Lounge auf dem Oberdeck, die man nur über eine Wendeltreppe aus dem Erste-Klasse-Abteil erreicht – eine Art Salon mit tiefen Sesseln, hölzernen Kartentischen und einer separaten Bar. Zwar geht man beim Umsteigen das Risiko ein, sein Gepäck zu verlieren und einen qualvollen Zwangsaufenthalt im Flughafen von San Francisco ertragen zu müssen … aber ich brauchte Platz zum Arbeiten, um mich ein wenig auszubreiten und vielleicht sogar langzumachen.
Ich plante, mir in dieser Nacht sämtliche Quellen über Hawaii anzusehen, die ich mir beschafft hatte. Da gab es Memos und Pamphlete, die ich lesen wollte – und sogar Bücher. Ich hatte Houghs The Last Voyage of Captain James Cook dabei, The Journal of William Ellis und Mark Twains Post aus Hawaii – dicke Wälzer und lange Traktate: »The Island of Hawaii«, »Kona Coast Story«, »Pu’uhonua o Honaunau«. Und noch jede Menge mehr.
»Du kannst nicht einfach hier rauskommen und nur über den Marathon schreiben«, hatte mir mein Freund John Wilbur vorgehalten. »An Hawaii ist verdammt viel mehr dran als die 10 000 Japse, die beim Marathon an Pearl Harbor vorbeiflitzen. Aber komm unbedingt«, sagte er. »Diese Inseln stecken voller Rätsel, vergiss einfach Don Ho und den ganzen Touristenhumbug – hier gibt’s so viel zu entdecken, von dem die meisten Leute keine Ahnung haben.«
Wunderbar, dachte ich – Wilbur ist wahrhaft weise. Jeder, der freiwillig die Washington Redskin hinter sich lässt und in ein Strandhaus auf Honolulu zieht, muss einen Lebenssinn entdeckt haben, der mir bisher verborgen geblieben ist.
Genau. Ran an die Rätsel. Und zwar sofort. Alles, was sich durch Eruptionen aus den Tiefen des Pazifiks selbst erschaffen kann, ist näherer Betrachtung wert.
Nach sechs Stunden verwirrten Scheiterns und alkoholisierter Kopflosigkeit war es mir schließlich doch gelungen, zwei Plätze für den letzten 747-Flug des Tages nach Honolulu zu ergattern.
Jetzt brauchte ich einen Ort, um mich zu rasieren, mir die Zähne zu putzen, um vielleicht auch nur einen Moment
dazustehen, in den Spiegel zu sehen und zu überprüfen, wer mich wohl daraus anblicken würde.
Vermutlich ist ein rein privater Ort irgendeiner Art in einer Zehn-Millionen-Dollar-Flugmaschine weder ökonomisch noch sonst wie zu rechtfertigen. Das Risiko ist einfach zu groß.
Klar. Kann man ja verstehen. Zu viele Leute – wie zum Beispiel frühzeitig in den Ruhestand versetzte Stabsfeldwebel – haben versucht, sich in diesen kleinen Blechzellen in Brand zu stecken … zu viele Psychotiker und halbirre Drogensüchtige haben sich darin eingeschlossen, einen Haufen Pillen runtergewürgt und dann versucht, sich durch die lange blaue Röhre wegzuspülen.
Der Copilot klopfte mit der Faust energisch an die WC- Tür. »Mister Ackerman! Ist alles in Ordnung?«
Er zögerte und rief dann nochmals. Diesmal wesentlich lauter. »Mister Ackerman! Hier spricht Ihr Kapitän. Fühlen Sie sich nicht wohl?«
»Was?«, fragte eine Stimme von drinnen.
Die Stewardess beugte sich näher zur Tür. »Wir können das ohne weiteres zu einem medizinischen Notfall erklären, Mister Ackerman – dann sind wir befugt, Sie innerhalb von 30 Sekunden da herauszuholen.« Sie lächelte Captain Goodwrench triumphierend zu, als die Stimme sich unmittelbar darauf wieder meldete.
»Mir geht es gut«, erklärte der Mann. »In einer Minute bin ich draußen.«
Der Copilot trat zurück und beobachtete die Tür. Drinnen bewegte sich etwas – doch sonst geschah nichts, bis auf das Geräusch fließenden Wassers.
Inzwischen reagierten sämtliche Passagiere der ersten Klasse alarmiert auf die Krisensituation. »Holt den Irren da raus!«, rief ein alter Mann. »Vielleicht hat er eine Bombe!«
»O mein Gott!«, schrie eine Frau. »Womöglich ist er bewaffnet!«
Der Copilot zuckte zusammen und wandte sich den Passagieren zu. Er deutete mit seinem Werkzeug auf den alten Mann, der immer hysterischer wurde. »Sie da!«, fauchte er. »Halten Sie die Klappe! Ich regle das hier.«
Plötzlich öffnete sich die Tür, und Mr. Ackerman trat heraus. Er schlüpfte schnell in den Gang und lächelte die Stewardess an. »Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten«, sagte er. »Jetzt ist frei.« Er zog sich durch den Gang zurück, die Safarijacke lässig über dem
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