Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
auf den Galerien, als sein eisiger, aber ruhiger Blick über die Banner, die bunten Tapeten und die Reihe der Würdenträger auf dem Podium wanderte, ehe er schließlich den König fixierte.
»Knie nieder!« befahl der Herrscher von Amroth, der immerhin dreißig Jahre auf diesen Augenblick gewartet hatte.
Bewegungslos stand Arithon in der Mitte des feingeschliffenen Marmorbodens. Seine Augen wirkten noch immer so distanziert wie die eines Träumers, so, als könnte kein gesprochenes Wort ihn noch erreichen. Ungeduldiges Flüstern erklang aus den gedrängten Reihen der Höflinge. Nur Lysaer runzelte angesichts all der Widersinnigkeiten besorgt die Stirn. Die kaltblütige Manipulation, der er in der Segelkammer der Briane gerade noch entgangen war, war gewiß kein Zufall gewesen. Wenn ein so kluger und kontrollierter Mann, der über die Gaben eines Zauberers verfügte, sich zu einem sinnlosen Akt der Provokation entschloß, dann mußte es dafür mehr als nur einen banalen Grund geben. Doch an dieser Stelle winkte der König den Hellebardieren zu und riß Lysaer so aus seinen Gedanken.
Die Großzügigkeit des Raumes ließ ausreichend Platz für freie Bewegung; Banner und Wandschmuck gerieten in Bewegung, als neun Fuß beschlagenen Buchenholzes angehoben und in der Faust des Gardisten gedreht wurden. Stahl blitzte auf und senkte sich nieder. Der metallene Beschlag der Waffe deutete auf s’Ffalenns Rücken. Doch in diesem Augenblick, geradezu unheimlich passend und mit einer augenbetörenden Anmut, ließ sich Arithon auf die Knie fallen. Der Schlag, der seine Schulter hätte treffen sollen, wischte nur harmlos über seinen Kopf.
Der Hellebardier verlor das Gleichgewicht. Er stürzte in voller Armierung und in aller Öffentlichkeit bei Hofe zu Boden. Jemand lachte. Wutentbrannt drehte der Gardist sich um, doch Arithon kam seiner Rache zuvor.
»Die Weisesten der Weisen haben gesagt, daß ein Mann nur aus Angst zur Gewalt greift.« Die Worte des Herrn der Schatten waren so eindrucksvoll wie kalt, und sie richteten sich direkt an den König. »Seid Ihr von so geringer Größe, daß Ihr es nicht wagt, mir ohne diese Ketten entgegenzutreten?«
Der Affront verursachte Unruhe im Rat, doch der König antwortete gelassen, mit einem Lächeln auf den Lippen. Sofort schwiegen die Höflinge, um seine Worte mit anzuhören. »Gardist, du bist persönlich beschämt worden. Du hast meine Erlaubnis, dich auch persönlich zu revanchieren.«
Mit der Geschwindigkeit eines übellaunigen Bären sprang der Mann auf die Füße und packte seine Waffe. Der Hieb, mit dem er seine Würde wieder herzustellen gedachte, schleuderte Arithon vorwärts mit dem Gesicht zu Boden. Durch die Ketten behindert, konnte der Gefangene seine Hände nicht einsetzen, um sich zu schützen. Seine Wange prallte auf die Marmorkante der Treppe. Blut lief über seine bleiche Haut. Mit angehaltenem Atem erblickten die Edelleute Amroths die königliche Geste der Entlassung. Der Hellebardier trat zurück, doch seine Augen fixierten noch immer sein Opfer.
Lysaer betrachtete die scharfen Züge im Gesicht des s’Ffalenns, doch er konnte keine Veränderung seiner Mimik erkennen. Arithon bewegte sich auf dem Boden. Objekt tausender feindseliger Blicke, richtete er sich mühevoll auf, und jede seiner Bewegungen wurde durch das dissonante Kreischen des Metalls unterstrichen.
Die Hand des Königs glitt herab zu dem Zepter auf seinem Schoß. Kerzenlicht spiegelte sich in Gold und Edelsteinen, als sich seine Finger um den Griff schlossen. »Du bist in diesem Augenblick am Leben, weil ich dich leiden sehen will.«
Arithons Antwort fiel so schnell wie ein Peitschenhieb. »Das ist eine Lüge! Ich lebe, weil deine Frau sich geweigert hat, die Herrschaft über die Schatten als Waffe gegen die s’Ffalenns zu mißbrauchen.«
»Ihre Skrupel wurden verraten, als du Rauven verlassen hast.« Der König beugte sich vor. »Du hast deine Gabe verkauft, um ein Massaker unter den Seeleuten der s’Ilessids anzurichten. Wir werden daran interessiert sein zu hören, warum du das getan hast, denn Lysaer ist niemals mit einer Kriegsflotte gereist. Er hat seine Gabe des Lichtes niemals gegen Karthan gewandt.«
Lysaer verkrampfte seine Hände um das Geländer vor sich, so sehr verärgerte ihn diese Bemerkung. Nicht die Skrupel des Königs hatten ihn an Land zurückgehalten, sondern Rauvens unerschütterliche Weigerung, ihn in der Kunst zu unterrichten, die es ihm erlaubt hätte, seine
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