Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
übergeben.«
Der Heiler war gezwungen, sich diesem Plan zu fügen. Er seufzte und griff nach seiner Tasche. Fünf Tage unter starken Drogen würde Unbehagen verursachen, aber keinen bleibenden Schaden hinterlassen; außerdem war es wahrscheinlich die weiseste Entscheidung, den Gefangenen der Obhut Prinz Lysaers zu überlassen. Seiner Hoheit angeborene Gabe des Lichts war dem Zauberer und seinen Schatten gewachsen, und seine Urteilsfähigkeit zeichnete sich durch Augenmaß und Fairneß aus, sogar, wenn es um eine Erbfeindschaft ging.
Der Kronprinz
Das Klirren von Schwertern war auf dem herzoglichen Exerzierplatz zu hören. Der Kurier aus dem Hafen verlangsamte seine Schritte, als er die Geräusche wahrnahm. Lysaer, Kronprinz von Amroth, war oft genug auf der Südinsel zu Gast gewesen, daß sogar die Dienerschaft wußte, wie unklug es war, seine Hoheit bei Übungen zu stören, in die stählerne Waffen verwickelt waren. Folglich legte der Bote im Schatten eines Säulenganges eine Pause ein und wartete ab, obwohl die Botschaft, die er zu überbringen hatte, so dringlich war, daß er durch eine Verzögerung in Ungnade fallen konnte.
Der Prinz bemerkte die Ankunft des Mannes sofort. Das Schwert zum Parieren erhoben, warf er sein goldenes Haar zurück und winkte dem Mann freundlich zu. Anscheinend fühlte er sich nicht gestört. Dennoch gelang es seinem Gegner, ihn mit einem absolut vorhersehbaren Gegenstoß zu entwaffnen. Wie ein glitzernder Lichtbogen flog das Schwert im hellen Sonnenschein durch die Luft, ehe es auf dem Boden aufschlug und den Sand aufwirbelte. Großmütig lachend, so attraktiv, daß es den Frauen die Tränen in die Augen trieb, hob der Prinz seine Hände. Dann drehte er den Dolch, den er gerade noch en gauche gehalten hatte, um und schleuderte ihn mit der Spitze voran in die Erde neben seinem Schwert. »Ihr habt Eurer Dame Silber gewonnen, verehrter Lord. Möge Ath den Nachfahren in ihrem Leibe segnen.«
Nach dem unerwarteten Sieg richtete sich der dunkelhaarige Edelmann überrascht auf dem Exerzierplatz auf. »Euer Hoheit, nicht einmal der Gott des Schicksals weiß so viel über mein Leben. Wer hat Euch davon erzählt?«
Wieder lachte der Prinz. »Wovon? Von der Wette oder von dem Kind?« Er ordnete die Schnüre seines Hemdes, ehe er sich auf dem Weg zu dem Boten im Säulengang begab.
Der Edelmann betrachtete das Schwert und den noch immer zitternden Dolch mißtrauisch. »Ihr habt mich getäuscht, um mir die Ehre zu überlassen. Ihr mögt mich verwünschen, wenn ich mich irre.«
Lysaer, erstgeborener Sohn des Königs von Amroth, blieb abrupt stehen. Überrascht riß er seine blauen Augen auf. »Habe ich das? Nun, dann werde ich Eurer Dame eine Perle kaufen. Am morgigen Tag werden wir darum kämpfen, wer sie fassen läßt.« Dann wandte sich der Prinz lächelnd an den Kurier. »Du hast Neuigkeiten für mich?«
Der Bote, ein Läufer im Livree der herzoglichen Dienerschaft, verbeugte sich und richtete seinen Blick auf den Diener in der Begleitung des Prinzen. »Es ist vertraulich, Euer Hoheit.«
Der Prinz schickte seinen Diener, die Waffen einzusammeln, ehe er zu dem Boten in den Schatten des Bogenganges trat. Seine Züge drückten nun nüchternen Ernst aus. »Mein mitleiderregender Krüppel von einem Tantchen ist nicht zufällig aus dem Bett gefallen und hat sich den Hals gebrochen, oder?«
Dieser Scherz war zu derb, um darüber zu lachen, aber die humorvolle Gelassenheit des Prinzen hatte eine sichtlich beruhigende Wirkung auf den Boten. »Der gnädigen Frau geht es gut, Euer Hoheit. Der erste Offizier seiner Majestät Kriegsschiff Briane schickt Euch seine Grüße. Man hat mich angewiesen, Euch mitzuteilen, daß er den Bastard des Piratenkönigs, Arithon s’Ffalenn, in Gewahrsam hält.«
Lysaer schien wie vom Blitz getroffen. Die Röte der sportlichen Anstrengungen wich aus seinem Gesicht, und er ballte seine Hände zu Fäusten. »Lebend«, sagte er leise.
Während der sieben Generationen überdauernden Erbfeindschaft zwischen Amroth und Karthan hatte es niemals einen Augenblick wie diesen gegeben. Solange er sich erinnern konnte, hatte die Vendetta Zwist und Gram beschert; noch vor seiner Geburt war die erste Königin des Reiches gemeinsam mit einer Tochter, deren Namen niemand in Gegenwart des Königs zu nennen wagte, in einer blutigen Auseinandersetzung getötet worden. Sein ganzes Leben lang hatte der Hof in der Furcht vor seines Vaters Zorn gelebt, und stets waren die
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