Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
es.«
»Du weißt, daß ein Prinz niemals sein Wort bricht«, warnte ihn die Amme.
Der kleine Lysaer nickte ernsthaft.
»Nun, dann halte dich daran, junger Mann.« Die Amme strich ihm über das goldene Haar und übergab ihn wieder den duldsamen Armen des Kammerherrn. »Bringt ihn hinunter. Er ist ein guter Junge, und an seinem Geburtstag wird die Königin sicher nichts dagegen haben.«
Auf dem ganzen Weg die Treppe hinab plapperte der Prinz aufgeregt. Wenn der Kammerherr auch schon älter war, so funktionierte sein Gehör doch ausgezeichnet, und als sie die königlichen Gemächer endlich erreicht hatten, klingelten seine Ohren bereits. Nun zögerte der Kammerherr. Etwas stimmte hier nicht. Er setzte den Prinzen ab, doch das Kind, zu jung, um solche Feinheiten wahrzunehmen, riß sich sogleich los und rannte voraus.
In dem Augenblick, in dem Lysaer die Schwelle zu den Räumen seiner Mutter überquerte, fühlte auch er, daß etwas nicht richtig war. Sein Vater saß bei der Königin, und sie waren beide wütend.
»Du wirst kein Kind von mir als Waffe in deiner Fehde mit s’Ffalenn mißbrauchen«, sagte Lysaers Mutter in einem Tonfall, den der Knabe noch nie zuvor von ihr gehört hatte. Seine nackten Füße verursachten keinerlei Geräusch, als er sich verunsichert in den Schatten verkroch, während der hilflos vor der Tür stehende Kammerherr es nicht wagte, den König zu erzürnen. Er raufte sich die weißen Haare und betete, daß der junge Prinz genug Vernunft besäße, sich zurückzuziehen.
Aber Lysaer war verängstigt und zu jung, um den Streit zu begreifen. Wie ein Kaninchen in der Falle blieb er bewegungslos in der Ecke stehen, während die Königin erneut das Wort ergriff. Der Singsang ihres rauvischen Dialekts verlieh ihren Worten eine rohe Kraft. »Unser Sohn ist ein Geschenk, keine Waffe. Wage nicht, ihn zu mißbrauchen. Ich schwöre dir bei Ath, wenn du das versuchst, dann wirst du kein zweites Kind von mir bekommen.«
Mit gerunzelter Stirn versuchte Lysaer, den Worten der Erwachsenen einen Sinn abzuringen. Er wußte, daß sie von ihm und den strahlenden Lichtern sprachen, die er in die Luft zaubern konnte, wann immer ihm danach war.
Abrupt erhob sich der König von seinem Stuhl. Er bückte sich und ergriff die Handgelenke seiner Gattin. »Weib, widersetze dich mir, und ich werde dich mit Geburten in den Tod treiben. Schande über deinen Vater. Er hätte deine Mitgift zugänglicher machen sollen. Zauberei und Kinder sind eine unglückselige Mischung.«
Armreifen klirrten, als die Königin sich aus seinem Griff befreite. Mit dem Ellbogen stieß sie gegen einen Tisch und brachte eine Kristallschüssel zu Fall. Glassplitter und glasierte Nüsse fielen auf den Boden. Lysaer wimmerte unbemerkt in seiner Ecke. Er wollte davonlaufen, aber sein Kammerherr war nirgends zu sehen.
Der König riß die Königin auf ihre Füße. »Du warst nun schon lange genug indisponiert, du königliche Hexe. Von nun an werden wir jede Nacht das Lager teilen, bis du den Herrn der Schatten empfangen hast, der mir vorherbestimmt wurde.« Edelsteine blitzten an den Ärmeln des Königs auf, als er seinen Arm um seine Gemahlin legte. Sie wehrte sich, und er riß sie unsanft an seine Brust. Seide riß zwischen seinen Fingern mit einem Geräusch gleich dem Schrei eines kleinen Tieres und legte ihren bloßen Rücken im Kerzenschein frei.
Der König lachte. »S’Ffanell wird deine liebenswerten, begabten Kinder noch vom Grunde der See verfluchen.«
Die Königin wehrte sich noch immer. Blondes Haar löste sich aus den diamantbesetzten Nadeln und fiel auf die derben Finger des Mannes, doch ihre Stimme klang weiterhin ruhig. »Zwinge mich, und ich schwöre bei den Steinen des Rauventurmes, das wirst du mir büßen. S’Ffalenns Piraten werden mein Brautgeschenk mit denen zu s’Ilessid teilen. Kummer und Sorge wird aus ihm erwachsen.«
»Du verfluchst mich? Dharkaron ist mein Zeuge, das wirst du bereuen.« Der König schlug sie. Die Königin verlor das Gleichgewicht und krachte rückwärts gegen einen Tisch. Leinen raschelte unter ihrem Gewicht und eine Karaffe fiel um. Wein ergoß sich über den Stoff.
Traumatisiert vom Anblick dieser Gewalt schrie Lysaer auf. »Vater! Tu ihr nicht mehr weh.«
Der König wirbelte herum und sah seinen Sohn in der Tür stehen. Seine Züge waren verzerrt wie die eines Fremden. »Verschwinde sofort!«
»Nein!« Die Königin richtete sich eilends auf und streckte ihre zitternde Hand aus.
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