Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
s’Ffalenns Ursache für diesen Zorn gewesen. Noch immer kämpfte der Prinz gegen den irrationalen Haß an, den dieser Name in ihm hervorrief. Der Gefangene auf der Briane war sein Halbbruder, doch kein Ehrenmann konnte sich der Frage verschließen, ob er ebenfalls ein Krimineller war, der Grausamkeit und Tod verdiente, wie es die leidenschaftliche Rachsucht des Königs verlangte.
In der unbehaglichen Stille wagte der Bote kaum mehr zu atmen. Als wäre seine Unsicherheit dem Prinzen ein Ventil, verwarf Lysaer die düsteren Gedanken und berührte den Burschen an der Schulter. »Du mußt keine Angst haben. Das Schicksal des Bastards meiner Mutter wiegt zu schwer, um eines anderen als des Königs Richterspruch zu unterliegen. Der Kommandant der Briane hat recht getan, mir den Gefangenen anzuvertrauen.«
Mit unübersehbarer Erleichterung verbeugte sich der Bote.
»In der Küche wird man dir eine Erfrischung kredenzen«, fuhr der Prinz fort. »Ein Page aus meinem Gefolge kann zur Briane laufen und den Kommandanten darüber informieren, daß ich den Gefangenen zu sehen wünsche.«
So glücklich entlassen, wie es sich ein Überbringer schwieriger Botschaften kaum vorstellen kann, verbeugte sich der Bote erneut und zog von dannen. Der Prinz verweilte noch kurz in dem Bogengang, und seine Augen strahlten noch immer, als sein Kampfpartner sich neugierig zu ihm gesellte.
»Euer Hoheit? Was ist geschehen?«
Allmählich löste sich der Kronprinz von Amroth aus seiner Erstarrung. »Probleme«, sagte er knapp. Verdruß zeigte sich in seiner finsteren Miene, als er sich seiner schmutzigen, schweißnassen Kleider erinnerte.
Darauf bedacht zu gefallen, schnipste der Edelmann mit den Fingern, um den Diener mit den Schwertern herbeizurufen. »Schick nach dem Kammerdiener des Prinzen.«
»Und nach dem Kommandanten der herzoglichen Garde«, fügte Lysaer eilends hinzu. »Bestell ihn in meine Privaträume. Wenn er sich beschwert, dann sage ihm, daß ich ein Bier für ihn habe.«
Der Schlüssel drehte sich laut quietschend im Schloß. Von drinnen mit einem derben Fluch empfangen, stieß der erste Offizier die Tür weit auf und hängte seine Laterne an den Balken an der Decke. Dann bedeutete er dem Prinzen, ihm zu folgen.
In der Segelkammer der Briane herrschte zur Mittagszeit eine drückende Hitze. Modergeruch hing in der feuchten Luft. Obwohl das Schiff vor Anker lag, war die Luke in der Decke geschlossen, als würden sie durch einen Sturm segeln. Lange, harte Schatten bewegten sich bei jeder neuen Welle im Licht der Laterne.
Die Nerven aufs äußerste angespannt deutete der erste Offizier in die dunkelste Ecke des Raumes. »Dort, Euer Hoheit. Aber seid vorsichtig. Er ist aus dem Drogenschlaf erwacht und gefährlich.«
Strahlend in goldene Seide und Brokat gehüllt, geschmückt mit den Saphiren königlichen Ranges, trat Lysaer von Amroth vor. »Laß uns allein«, wies er den Offizier freundlich an. Dann, als sich die Tür knarrend hinter ihm schloß, kämpfte er den emotionalen Tumult in sich nieder und wartete, bis sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.
Bewegungslos saß Arithon s’Ffalenn im unsteten Licht an einen Haufen Segeltuch gelehnt. Wasser und Brot standen unberührt neben seinem Ellbogen. Eine graublaue Schwellung an der Seite seines Unterkiefers verstärkte die arrogante Wirkung seiner Züge, die er zweifellos von seinem Vater geerbt hatte, noch weiter, statt sie zu mildern. Seine Augen waren geöffnet und blickten den Prinzen voller Tücke an.
Dieser Anblick ließ Lysaer in tiefster Seele erschaudern. Beunruhigt und durch das Schwanken der Laterne irritiert, nahm er diese herunter. Der Lichteinfall veränderte sich und enthüllte gnadenlos die Details, die bis dahin im Verborgenen gelegen hatten. Überrascht erkannte der Prinz, wie klein der Bastard der Königin war. Doch die schmale Gestalt hatte einen Körperbau ähnlich dem einer Katze, und er besaß auch das dazu passende Temperament. Das Fleisch an Hand- und Fußgelenken war wiederholt von den Fesseln aufgerissen worden, die Quetschungen und Wunden hinterlassen hatten. Seine Hände waren in Drahtschlingen eingewickelt und mit trockenem Blut bedeckt. Eine Woge des Mitleids befiel den Prinzen. Der erste Offizier hatte ihm von den Vorgängen berichtet; die Furcht der Matrosen war verständlich, und dennoch erschien ihm der Draht um die sowieso gefesselten Hände als unnütze Grausamkeit. Verwirrt hängte Lysaer die Laterne wieder an
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