Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
neuen Ansturm der Verzweiflung, fragte sich Arithon, wieviel der Geist eines starken Menschen zu ertragen imstande war. Die Fehde zwischen Karthan und Amroth hatte Scheußlichkeiten genug mit sich gebracht, seinen Widerstand gegen jedes Leiden für alle Zeiten zu brechen. Der Haß zwischen den Städtern und den Clans jedoch war noch viel bösartiger.
Kriechtiere knirschten unter seinen Füßen, während er sich auf den Gebirgskamm hinaufkämpfte. Neben ihm schleppte sich Jieret voran, die Augen starr und weit, als würde endloses Grauen schauen, doch ihm fehlte der Atem, sein Leid zu beklagen.
Wann würde der Augenblick kommen, an dem auch das stärkste Herz zurückscheuen und sich selbst vor der leichtfertigen Zerstörung schützen würde? Weiterzumachen bedeutete, zu riskieren, jeden Fetzen seiner Rechtschaffenheit an Desh-Thieres Fluch zu verlieren. Arithon fluchte, erfüllt von furchtsamer Pein. Mit festem Griff umklammerte er sein Schwert, stählte seine müden Nerven und durchbrach die letzte schützende Barriere, die ihn von dem trennte, was Jieret in seinem Traum gesehen hatte. All die besonnene Vorausplanung war plötzlich zunichte gemacht, als er sich mit seiner magischen Wahrnehmung direkt vortastete.
Diszipliniert, effizient und viel zu versiert im Umgang mit den Clans in den Wäldern, um sich mit Verzögerungen aufzuhalten oder unnötige Geräusche zu verursachen, erteilte Pesquil Anordnungen in rascher Folge. Seine Männer verstauten die bluttriefenden Trophäen in ihren Jagdtaschen. Ganz in der Nähe schwang ein starker, aufrechter Mann ein Schwert mit spiegelbildlichen Runen auf der Klinge und biß die Zähne zusammen, um dem Schmerz seiner gebrochenen Knochen standzuhalten.
Umrahmt von diesem Ort, im Angesicht der Leiber niedergemetzelter Kinder, war es doch dieser Mann allein, dessen Gestalt sich gleich einer Flamme vor einem Brandmal abhob, der die Muster des Fluches Desh-Thieres weckte. Im Gegenlicht der Sonne woben die weichen, fedrigen Piniennadeln den Hintergrund für das in Unordnung geratene blonde Haar und das königliche Profil, das zwar geschunden und zerkratzt war, doch keinen einzigen Funken der Reue zeigte …
Arithon keuchte entsetzt, als wäre er geschlagen worden. Seine Schritte stoppten trotz Jierets Mühen, seinem Rufen und Zerren, ihn weiterzudrängen. Er hörte nichts, fühlte nichts, außer der Nervenanspannung und dem Drang anzugreifen.
Vision und Reflexe vermischten sich, und Alithiels Klinge wirbelte durch die Luft. Dann rief der reißende Klang des Schwertes, das durch Äste und Farnkraut sauste, seine verwirrten Sinne in die Wirklichkeit zurück.
Schwer atmend stand Arithon da, und der Schweiß lief in Strömen über seinen Körper. Er atmete tief durch, einmal, zweimal, die Hand zitternd um seinen Schwertknauf gelegt, den er so fest umspannte, daß die Knöchel weiß hervortraten. Endlich konnte er seine Finger zur Ruhe bringen und seinen Geist zwingen, den Wahnsinn abzuschütteln. Mit geschlossenen Augen und wie im Fieber zitternden Lidern, rief Arithon all seine geschulte Magie herbei, um dem brennenden Drang zu widerstehen, Jieret von sich zu stoßen und loszustürmen, nicht um zu retten, sondern um zu morden. Durch und durch ging ihm die schmerzliche Erkenntnis, daß er etwas Schlimmeres als nur Tränen geschmeckt hatte. Gefährlich wenig hatte er die Verwüstung bedacht, die sogar eine indirekte, geistige Beobachtung seines Halbbruders im Innersten seines Seins auszulösen vermochte.
Erschöpft vor Verzweiflung, weil es keinen Ausweg aus diesem Dilemma gab, sammelte er die Überreste seiner Selbstkontrolle.
Standhaft und kampfbereit umringten ihn außer Jieret elf Clankrieger, die fraglos ihre Verteidigungsstellungen verlassen hatten, um ihn zu unterstützen. Gefangen in Sorge und dem Kampf um seine Würde, stellte ihre Zuwendung eine Versuchung für ihn dar, der sein fluchgezeichneter Geist kaum widerstehen konnte.
Von dem Bruch, der sich in seinen Charakter gegraben hatte, erzürnt wie eine getretene Katze, wollte er sie zunächst mit Worten davonjagen, sie auffordern zu packen, um nicht mutwillig ihre Sicherheit zu gefährden. Demut hielt ihn zurück, und Kummer. Wenn Deshirs Frauen und Töchter noch bedroht waren, so hatten diese Männer wohl das Recht, sie zu verteidigen, und er mußte die Courage aufbringen, herauszufinden, auf welche Art sie das tun konnten.
Wortlos verlagerte er seinen Griff um Alithiels Knauf und drückte ihn in Jierets
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