Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
die Flasche reichte.
Arithon blieb stehen, eine dunkle Silhouette vor dem Hintergrund von Millionen kleiner Lichter. »Nein«, sagte er sanft. »Ich werde lieber auf die Krone trinken, die dich in Tysan erwartet. Du hast dir das Recht, die Krone zu tragen, wahrhaft verdient.«
Entgegen seiner Erwartung, schwang keine Verbitterung im Tonfall seines Halbbruders mit, und Lysaer stellte verblüfft fest, daß die eigenartigen Schrullen des Herrn der Schatten ihn noch immer verwirrten. Lysaer lächelte, als Arithon trank und ihm die Flasche freundlich wieder zurückgab.
»Du freust dich vermutlich nicht auf Etarra«, drang Lysaer in ihn. »In deinem Kopf geht doch mehr vor, als du zugibst.« Er führte die Flasche an seine Lippen. Der Telirbranntwein brannte kaum in seiner Kehle, die Wärme kam erst später, eine Glut wie ein Freudenfeuer, die direkt in seinem Magen loderte. »Vielleicht geht es dir besser, wenn du noch etwas trinkst.«
Arithon lachte leise. »Es geht mir nicht schlecht. Nur schrecklich müde. Trotzdem.«
»Trotzdem, was?« Der Schnaps war heimtückisch. Er riß Schranken ein, wie ein Lebemann, der eine Jungfrau verführte. Als Arithon sich einer Antwort enthielt, legte Lysaer mit einem beinahe euphorischen Gefühl der Verwirrung die Stirn in Falten. »Jetzt, nach Desh-Thieres Niederlage, könnte man erwarten, daß die allmächtige Bruderschaft der Sieben dich belohnen könnte, indem sie einen Ersatzhelden für die Last des Thrones von Rathain findet.«
Arithon legte sanft die Hände auf die Mauer. Für eine kurze Zeit schien er sich ebenfalls in der Betrachtung der Sterne zu verlieren. »Das werden sie nicht tun, weil sie es nicht können, vermute ich.«
»Was?« Lysaer richtete sich aus seiner nachlässigen Haltung auf, wobei sich seiner Kehle ein trunkenes Gurgeln entrang. »Was meinst du denn damit? Ich hasse es, herumfliegende Fetzen eines logischen Zusammenhangs einsammeln zu müssen, wenn ich beschwipst bin.«
Aus dem Inneren des unüberdachten Raumes am Ende der gepflasterten Terrasse erklang ein Geräusch. »Dakar«, bemerkte Arithon, obwohl er sich nicht umgewandt hatte, um nachzusehen. »Der Geruch des Branntweins zieht ihn zweifellos magisch an.«
Doch angetrunken konnte Lysaer stur wie ein Ochse sein; Müdigkeit beeinträchtige seine Urteilskraft noch zusätzlich, weshalb er sich von der Störung nicht beirren ließ. »Du sagst also, mein Freund, daß die Bruderschaft der Sieben nicht die Macht hat zu wählen, wessen Kopf sie in Etarra krönen soll?«
Nicht verärgert, sondern lediglich noch immer müde, sagte Arithon: »Ich glaube, die hat sie nicht. Ich nehme an, daß, ob unsere Vorfahren davon wußten oder nicht, irgend jemand unsere Familiengeschichte beeinflußt hat.« Schweigend, möglicherweise mit gerunzelter Stirn, legte er den Kopf forschend auf die Seite.
»Sie waren einverstanden«, erklärte Dakar aus der Tiefe des Torweges, der auf die Terrasse führte. »Für Euer Geschlecht hat Torbrand s’Ffalenn an dem Tag, an dem Ciladis aus der Bruderschaft die Charta von Rathain geschrieben hat, den Vertrag mit seinem Blut besiegelt.«
»Da siehst du es«, sagte Arithon in leicht ironischem Tonfall. Er nahm die Flasche entgegen, die ihm der s’Ilessid mit der ihm eigenen Diplomatie zum Trost darreichte; nach einem tiefen Schluck und einem Seufzer gab er die Flasche zurück und schloß: »Ich werde euch den Freuden der Nacht überlassen. Ich bin ganz sicher zu müde, noch ein geistreicher Gesellschafter zu sein.«
Der Herr der Schatten verschwand im gleichen Augenblick in dem Bogengang, in dem Dakar heraustrat, gekleidet in eine unmögliche Kombination zerfetzter Tuniken, die wie Sedimentgestein übereinander lagen. Über ihnen trug er Asandirs Umhang, dessen silberner Saum um Dakars fleischige Füße herum über das Pflaster scheuerte.
Mit hochgezogenen Augenbrauen studierte Lysaer die Garderobe des Wahnsinnigen Propheten, während Dakar sich unter lautem Protest gegen die Mauer sacken ließ, die Arithon gerade erst freigegeben hatte. »Ich bekomme eine Erkältung«, erklärte er den entwendeten Umhang.
Da jedoch das Timbre seiner Stimme keinen Hinweis auf einen Mangel an Lebenskraft barg, rechnete Lysaer mit einem Vortrag über die Wirksamkeit von Telirbranntwein gegen einen zu erwartenden Husten. Er kam der Hetzrede zuvor, indem er ihm die Flasche reichte, und blieb verbissen bei seinem Thema. »Was hat Arithon gemeint, und womit hat sich sein Vorfahre einverstanden
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