Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
erklärt, als Rathains Charta niedergelegt wurde?«
Mitten im Schluck erwischt, hustete Dakar. Er erholte sich, begann von neuem und nuckelte an der Flasche, bis er sie absetzen mußte, um Luft zu holen. Dann schniefte er. »Ihr wißt nicht, was Ihr da fragt.«
»Offensichtlich nicht.« Viel zu müde, sich mit Feinheiten zu befassen, nahm ihm Lysaer die Branntweinflasche wieder ab. Er betrachtete Dakar und sagte gleichmütig: »Wenn es anders wäre, dann müßte ich kaum fragen.«
Dakar wollte sich sein triefendes Kinn mit dem Saum des Umhangs abwischen, doch gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, wer der wahre Eigentümer des Kleidungsstückes war, und er beschloß, zu diesem Zweck doch lieber seinen Ärmel zu benutzen. »Verdammt, verdammt, verdammt«, murmelte er leise.
»Die erste Antwort für den Branntwein, den ich nur mit Euch teilen werde, wenn Ihr sprecht«, drängte Lysaer. »Die zweite für den Ärger, den Ihr Euch einhandelt, wenn Asandir erfährt, daß Ihr seinen besten Umhang ohne Erlaubnis genommen habt.«
»Schon gut.« Dakar zuckte resigniert die Schultern. »Die königlichen Geschlechter sind unersetzbar, genau wie Arithon vermutet hat.«
»Ist das auf eine Prophezeiung zurückzuführen?« Vielsagend schwenkte Lysaer die Flasche.
»Nein.« Dakar fixierte den Branntwein mit verdrießlichem Blick. »Die Bruderschaft hat drei Männer und zwei Frauen erwählt, die königlichen Geschlechter Atheras zu gründen. Jeder wurde wegen eines besonderen, dominierenden Charakterzuges ausgesucht, der der Korruption und anderen Gefahren, welche die Macht in der menschlichen Natur hervorbringt, Widerstand entgegenzubringen vermag. Es ist sehr bedenklich, Einfluß auf das ungeborene Leben zu nehmen, trotzdem hat die Bruderschaft genau das getan, um eine gerechte Herrschaft über Generationen der dynastischen Erbfolge sicherzustellen. Sie haben einen magischen Bann gelegt, der die gewählten Tugenden in direkter Linie auf den Erben übergehen ließ. Euer Vorfahre hat für all Eure guten Seiten seine Zustimmung gegeben.« In diesen Worten schwang Dakars eigene Verbitterung über seine Lehrzeit mit, deren Erfolge überwiegend auf Manipulation zurückzuführen waren.
Gewandt wie immer, reichte Lysaer ihm die Flasche. Es war unverändert heikel, Dakar die gewünschten Informationen über die Natur der Arbeit der Bruderschaft zu entlocken. »Was bedeutet das für Arithon?«
Branntwein verschwand in erstaunlich großen Schlucken im Rachen des Wahnsinnigen Propheten, und diesmal entging Asandirs Umhang nicht mehr dem Mißbrauch als Serviette. »Ja, nun«, seufzte Dakar. »Das bedeutet, daß unser arroganter Herr der Schatten seiner Natur nie entgehen können wird.«
Lysaer schlang seine Arme um die Knie, bereit, abzuwarten, bis der Weingeist seinen Zauber gewirkt hätte. Eine sanfte Brise wisperte leise über die Terrasse, und die fremdartigen Konstellationen brannten hell vom Himmel herab, während er wartete.
Bald schon nahm Dakar einen weiteren Schluck aus der Flasche. Bedauernd starrte er sodann in die verbliebene Neige. »Torbrand s’Ffalenn war ein Mann von naturgegebenem Einfühlungsvermögen, ein meisterlicher Staatsmann, denn er konnte fühlen, was seine Feinde bewegte. Er regierte als Herzog in Daon Ramon, und die Barmherzigkeit der Riathan Paravianer bildete das Licht, das seine Politik begleitete. Und das, mein Freund, bedeutet, daß Arithon selbst dem Schwert verzeihen wird, das ihn tötet. Er kann nicht anders. Den Bedürfnissen jedes Lebewesens mit Verständnis und Sympathie zu begegnen ist seine angeborene Natur, das erzwungene Erbe des Geschlechts derer zu s’Ffalenn, das ihnen die Bruderschaft der Sieben mitgegeben hat.«
Lysaer nahm sich einen Augenblick Zeit, dieses Feuerwerk der Enthüllungen zu sortieren. Die Neigung der s’Ffalenns, stets zu vergeben, erklärte so manche Eigentümlichkeit in seines Halbbruders Wesen; er hatte ihn für launisch und unberechenbar gehalten, bis er diesen Schlüssel zum Verständnis fand. Er begriff nun, warum Arithon so bösartig streiten konnte, bis zu dem Augenblick des Sieges; wie er mühelos jeden Groll wegen seiner unerfüllten Sehnsüchte ablegen oder eine Krone annehmen konnte, die er absolut nicht wollte, ohne auch nur eine Spur der Verbitterung oder des Hasses zu zeigen. Lysaer starrte auf seine Hände, die sich unter den Verbänden kalt anfühlten. Die Wunden pochten, doch er hatte es aufgegeben, bei dem Unbehagen zu verweilen. Verzweifelt
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