Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
entgegnete: »Es ist Steivens Erbe. Er hat die Gabe ebenfalls.« Sie schluckte, und ihre Augen blickten voller Sorge auf den Kranz roter Haare, der aus den Falten des Umhangs hervorlugte. »Die Visionen sind nur allzu oft grausam.«
Halliron griff nach seinem mit Branntwein gefüllten Krug und legte ihn in Danias eiskalte Finger. »Ihr braucht ebenfalls eine Decke.« Während die Zeltpfosten im Donnerkrachen erbebten, besorgte er auch ihr eine Decke.
Ununterbrochen war die ganze Zeit über Steivens leises Murmeln zu vernehmen: »Was hast du gesehen? Ich weiß, daß du Angst hast, mein Sohn, aber erzähle es mir.«
Unsicher erklärte Jieret, er hätte den König aus Etarra reiten gesehen.
»Gesegneter Ath.« Steiven drückte seine narbige Wange an den Haarschopf seines Jungen, um seine Augen zu verbergen, die in einem verdächtigen Glanz leuchteten. Nach einem kurzen Augenblick sagte er, gedämpft von den wuscheligen Fuchsschwanzhaaren: »Und wie hast du erkannt, daß es unser König war?«
»Er trug einen Silberreif und einen Umhang mit dem Leopardenwappen der s’Ffalenns.« Schon als Kind stets ein guter Beobachter, fügte Jieret hinzu: »Sein Gesicht paßt zu dem Portrait von Torbrand, das du in der Höhle bei dem Zepter verwahrst.«
Steiven schluckte. Mühevoll verlieh er seiner Stimme einen unbekümmerten Tonfall.
»Du bist ein Kundschafter, der für einen Überfall Bericht erstattet. Ich will Einzelheiten, gründlich und detailliert.«
»Seine Hoheit war allein«, sagte Jieret. »Er hatte nur ein Schwert bei sich, und er war kleiner als Caolle. Er ist sehr schnell geritten. Er hat sein Pferd beinahe zu Tode gehetzt, und demnach, wie er die Zügel gehalten hat, muß seine rechte Hand oder das Gelenk verletzt sein. Er wurde verfolgt.« Der Knabe schwieg. Wieder schüttelte ihn ein krampfartiges Zittern.
»Wer hat ihn verfolgt?« drang Steiven in ihn. Mit fester Hand streichelte er den Rücken des Knaben, doch als er den Kopf hob, blickten seine Augen hart wie Granit.
Zäh antwortete Jieret: »Lanzenreiter. Etarras Stadtgarnison.«
»Das klingt nach einer echten Vision.« Steiven stellte den Knaben wieder auf seine Füße. »Erinnerst du dich, ob es geregnet hat?«
Dania hielt den Atem an. Halliron streckte den Arm und tätschelte ihre Hand, als der Knabe auf der anderen Seite des Zeltes in gespannter Konzentration die Stirn runzelte. Endlich blickte Jieret auf, die Augen so aufmerksam wie die seines Vaters, und sagte: »Das ist komisch. Ich habe Schnee gesehen, aber die Bäume waren voller junger Blätter.« Mit einem Ausdruck trotziger Entschlossenheit reckte er das Kinn vor. »Ich lüge nicht. Was ich geträumt habe, war echt.«
»Dann zieh dich jetzt an und hol Caolle her«, wies Steiven seinen Sohn an. Dem erschrockenen Ausruf Danias begegnete er mit einem bitteren Lächeln. »Frau, willst du denn, daß unser König uns im Schlaf überrascht? Wenn der Schnee auf das Frühlingslaub fällt und Etarras Garde sich zur Jagd aufmacht, dann wird die Zukunft noch einigen Ärger bringen. Wir müssen die Nachricht nach Fallowmere bringen und doppelt so viele Kundschafter wie bisher zur Straßenwache abstellen.«
Einsichten
Lysaer erwachte plötzlich in einem Wirrwarr feuchter Laken. Der Alptraum, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, lauerte noch immer gerade jenseits der Schwelle seines Bewußtseins. In einem Anfall unterdrückten Zornes schleuderte er ein schweres Federkissen von seinem Gesicht. Mochten die Schutzzauber der Bruderschaft auch greifbare Bedrohungen abwenden, gegen das gestaltlose Übel, das ihn seinen Träumen peinigte, konnten sie nichts ausrichten. Dies war nicht die erste Nacht seit ihrem Sieg über Desh-Thiere, in der er mit klopfendem Herzen schweißüberströmt erwacht war.
Unruhig unter den Nachwirkungen des Traumes zitternd, befreite er sich von den Bettlaken. Obwohl keine Spur einer aufziehenden Dämmerung durch das Fenster zu sehen war, erhob er sich und schlüpfte in die abgelegte Kleidung des vergangenen Tages. Er mußte sich bewegen, gehen; selbst verborgen in der Dunkelheit bedrückte ihn der beengende Prunk dieses Schlafraumes. In dem Wissen, daß einer der körperlosen Zauberer stets über ihr Gemach wachte, verkündete er: »Ich werde hinausgehen, vermutlich in den Garten.«
Luhaines tadelnde Stimme antwortete ihm. »Ihr werdet Euren Umhang brauchen. Draußen herrscht dichter Nebel.«
Lysaer zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Ihr laßt am Vorabend von
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