Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Erkenntnis, daß das Leben in einem ordinären Kieselstein ebenso wertvoll ist wie das eines bewußten Selbst. Beide Sichtweisen sind gleichermaßen wichtig.«
Lysaer brachte ihr deutlichen Widerstand entgegen. »Und welche Rolle spielt Ihr in dieser Sache?« Er fühlte sich gequält genug, auch ohne ihre unerwünschte Gewissensprüfung.
Er hatte sie getroffen; ihr gedehnter Seufzer legte den Verdacht nahe, daß es ihr an Selbstbewußtsein mangelte. Dennoch scheute sie sich nicht, die Wahrheit zu sagen. »Ich wurde geschickt. Es war eine direkte Anordnung von meiner Obersten. Ich soll die Prinzen suchen, die einen Thron in Athera besteigen sollen, und mich genug mit ihnen befassen, um ihre Veranlagung zu erkennen.«
Er trat zurück, fühlte den vorspringenden Sitz einer zweiten Bank und setzte sich ihr Angesicht zu Angesicht gegenüber. Grimmig fragte er: »Was habt Ihr herausgefunden?«
»Daß die Komplikationen in Etarra einen jeden Mann martern können, und Leid enthüllt den Geist sehr deutlich. Als Prinz müßt Ihr Liebe und Sorge für die Massen dem persönlichen Leid voranstellen.« Ihre Kapuze bewegte sich. Möglicherweise sah sie, ob ihrer Schnüffelei verlegen, zu Boden. Wäre Arithon einer solchen Überprüfung ausgesetzt gewesen, er hätte jedes weitere Nachforschen durch seinen Sarkasmus unterbunden; Lysaer hingegen entschloß sich, höflich zu schweigen. Sein Anstand verführte sie, ihr Mitgefühl mit ihm zu teilen. »Ich sah Euren Halbbruder schon, als er in der Straße der Abdecker Schiffe aus seinen Schatten geformt hat.«
Weder konnte Lysaer seine Neugier zügeln, noch vermochte er, seine Besorgnis angesichts der schweren Last auf den Schultern des Prinzen von Rathain zu verbergen, die nicht einmal die Zauberer zu lindern imstande waren. »Dann hat Arithon mit Euch gesprochen?«
»Nein«, entgegnete sie in scharfem Tonfall. »Ich habe mich als Knabe verkleidet und ihm nie gestattet, mein Gesicht zu sehen. Und, bitte, es wäre mir sehr unangenehm, wenn Ihr es ihm erzählen würdet.«
Die Leidenschaft, die sie nicht verbergen konnte, entlockte Lysaer einen erstaunten Ausruf. »Ihr wart die Dame, die er zu verteidigen suchte, als die Korianizauberinnen versucht haben, unsere Angelegenheiten in Ithamon auszuspionieren.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht.« Zornig, oder auch furchtbar ängstlich, kam sie seinem Versuch, es ihr zu erklären, zuvor. »Schweigt. Wenn es um den Kreis der Korianiältesten geht, bin ich weit besser dran, wenn ich weiterhin unwissend bleibe.«
»Arithon sorgt sich um Euch«, sagte Lysaer instinktiv, um ihren Schmerz zu lindern.
»Er weint auch um das Gras, über das er geht.« Ungehalten über seine Besorgnis versteifte sich Elaira. »Als ein Sproß derer zu s’Ilessid solltet Ihr wissen, daß die Gabe des königlichen Geschlechts der s’Ffalenns Mitgefühl erzwingt.« Hastig erhob sie sich, und durch ihre ungestüme Eile löste sie einen Tauwasserschauer aus, als sich ihr Umhang in dem Gebüsch verfing. »Ich muß gehen.«
»Was ist mit Eurer Aufgabe?« Lysaer erhob sich ebenfalls. Aufmerksam bückte er sich und löste das verhakte Kleidungsstück aus dem Strauch, ohne sie zu berühren. »Sicher habt Ihr Euer Ziel noch nicht erreicht.«
Elaira schüttelte den Kopf, als er sich wieder aufrichtete. Die Finsternis wich bereits der ersten Helligkeit der Morgendämmerung; die Augen, die unter den voluminösen Stofflagen hervorschauten, glänzten unter Tränen, die die Intensität ihres Blickes nur noch verstärkten. Als sie aber sprach, klang ihre Stimme ruhig. »Ich habe bekommen, was ich in diesem Garten gesucht habe. Ihr aber nicht, sofern Ihr Euer Bett verlassen habt, um Ruhe zu finden.«
Galant ergriff Lysaer ihren Arm. »Ich geleite Euch zum Tor«, sagte er höflich.
Erleichtert, daß sein Anstand ihm verbat, weiter in sie zu dringen, lächelte sie mit einem Ausdruck eindringlicher Dankbarkeit. Mit einem Mitgefühl, das so sehr mit seinem tiefempfundenen Dilemma harmonierte, daß diesmal seine Gefühle nicht verletzt werden konnten, sagte sie: »Ich selbst würde Blut vergießen, um diese Kinder aus der Sklaverei in den Abdeckereien zu befreien. Aber mich treibt der weibliche Instinkt, jede Ausnutzung der Kinder zu verdammen. Ein Mann mag seine Prioritäten anders setzen.«
Lysaer dirigierte sie an den Halmen der sprießenden Lilien dieses Frühlings vorbei, sicher und warm lag seine Hand auf ihrem Arm. »Es geht nicht darum, was Ihr tun würdet
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