Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Arithons Krönung ein so tristes Wetter zu?«
»Es hätte eigentlich regnen sollen«, gab Luhaine ein wenig barsch zu. Wenngleich ihm daran gelegen war, jede Art von schlechtem Omen zu meiden, gefiel es ihm doch noch weniger, die Natur in ihrem Lauf zu stören. »Aber Kharadmon hat den Sturm nach Norden gelenkt. Der Bodennebel wird noch am Vormittag von der Sonne vertrieben werden.«
Als Lysaer sich einen Weg zur Kleiderkammer bahnte, passierte er andere Betten, deren Felldecken unberührt waren. Dakar war vermutlich beim Trinken. Zwar bestand er nach wie vor darauf, daß in Etarra ein schauerlicher Hopfentrank gebraut würde, doch war er gern bereit, dieses Manko mit Gin auszugleichen. Und sollte der Prinz von Rathain beschlossen haben, diese letzte Nacht, bevor er sich für den Rest seines Lebens einem zerstrittenen Königreich verpflichten mußte, im Suff zu verbringen, so konnte ihm ein Freund gewiß keinen Vorwurf daraus machen.
Noch immer schwitzend warf sich Lysaer den Umhang über eine Schulter und verließ leise den Raum.
Tau glänzte silbrig in dem Garten mit den hohen Mauern, der sich dem Schlafgemach anschloß. Als der Nebel seine feuchte Haut abkühlte, überzog eine Gänsehaut seinen Leib. Er atmete tief durch, doch die Luft vermochte ihn nicht zu erfrischen. Das schwere Öl, das in den Straßenlaternen verbrannt wurde, hinterließ einen dichten Rauch, der in Kehle und Nase brannte. Die vermengten Gerüche verschiedener Duftstoffe, die dazu benutzt wurden, den Gestank der Kloaken zu überdecken, legten sich auch über den Hauch frischer Erde und eben erblühter Frühlingslilien. In der Ferne knurrten zwei Hunde und eine Frau stieß schlimme Flüche aus, während, näher an seinem Standort, leise Schritte erklangen, gefolgt von den schweren Tritten der Nachtwache. Wenn Lysaer auch das Stadtleben bevorzugte, so besaß Etarra in seinen Augen jedoch eine schwer faßbare, verstörende Ruhelosigkeit. Je entschlossener er daran arbeitete, die Wurzeln der Probleme zu erforschen, die Bedürfnisse der Gildeminister zu verstehen, die die Zügel der Macht in Händen hielten, desto mehr wuchs auch sein Unbehagen. So unangenehm ihm auch die Einöde Ithamons gewesen war, hier fühlte er sich noch weniger heimisch.
Endlich mußte er sich der Feuchtigkeit ergeben, und er schlang sich den Umhang um den Rücken. Wo er zuvor von Hitze geplagt worden war, entsprang sein Unbehagen nun der Kälte. Ganz bestimmt erregte das Königreich, das zu erben Arithon verpflichtet war, keinerlei Neid in ihm.
Langsam und heimtückisch hatte Etarras Korruption begonnen, Lysaer auf eine Weise zu verfolgen, die seine Einstellungen zu untergraben drohte.
Unter der Last zu vieler schlafloser Nächte lehnte er seine Schulter an ein Podest, auf dem die Büste eines Würdenträgers ruhte. Grillen zirpten in den Blumenbeeten, und in der Ferne wurde das Geschrei der Frau allmählich leiser, ehe es ganz verstummte. Der Hundekampf war zu einem Aufheulen geworden, und die Wache ging murrend um die Ecke der Straßenmauer. Lysaer nahm die Geräusche einer fremden Welt in sich auf und dachte voll Bitterkeit daran, wie sehr die Kinder in der Straße der Pferdeabdecker seine Prioritäten ins Wanken gebracht hatten.
Als Prinz in Dascen Elur hatte er das Vertrauen seiner Leute genossen. Ihre Bedürfnisse waren zu den seinen Bedürfnissen geworden. Er hatte sie sich so sehr zu Herzen genommen, wie er darum gerungen hatte, Verständnis für den Rat von Etarra aufzubringen. Die hochgestellten Persönlichkeiten hatten sich darauf eingelassen. Sogar Lordkommandant Diegan hatte seine ablehnende Haltung aufgegeben und ihm seine Freundschaft dargeboten. Das Vertrauen in seine Fähigkeit, angemessen handeln zu können, hatte ihm stets ausgereicht, seinen angeborenen Drang, Gerechtigkeit zu suchen, zu befriedigen.
Bis zum heutigen Tag war die Ehre für ihn etwas Greifbares gewesen, unveränderlich, absolut, etwas, das jeder Entscheidung klare Umrisse verlieh.
Der Drang zu gehen, durch den dunklen Garten zu stürmen, um der Verkettung mit irgendeiner unsichtbaren Falle zu entgehen, wurde beinahe zu stark, daß er ihm noch länger widerstehen konnte. Lysaer zwang sich zur Ruhe. Gierig saugte er den Duft der Lilien auf und bemühte sich, zu untersuchen, warum fünf Minuten im Armenviertel die Einfachheit seines Standpunktes vollends zerstören sollten. Dieses Dilemma umfaßte viele Facetten. Man konnte den Gilden nicht dienen, ohne die Kinder zu zerstören, die
Weitere Kostenlose Bücher