Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
hatten, sich frühzeitig ein Versteck zu suchen.
»So was Blödes«, flüsterte Jieret niedergeschlagen angesichts dieses Versäumnisses. »Wir können keinen Wagen durch den Wald ziehen.«
Idrien nuckelte an seiner Unterlippe. »Ins Tal fahren und abspannen?«
»Vielleicht.« Ernsthaft nachdenklich pulte Jieret die Rinde von seinem Stock. »Der Wind riecht nach Regen. Unsere Beute wird ziemlich naß werden.«
Hier unterbrach ihr Gefangener sie frohgemut: »Ein Sturm macht uns nichts aus. Die Plane ist noch recht neu, sie wird dicht sein.«
»Ruhe!« Mit neuer Besorgnis sah sich Jieret um. »Zuviel Geschnatter wird die Kundschafter herbeirufen.«
Der Gefangene dachte darüber nach, während seine langen, schmalen Beine mit flinken Bewegungen mit dem Trab des Ponys Schritt hielten. »Junge Räuber ohne eigene Kundschafter?« Es war schon zu dunkel, zu sehen ob er lachte oder nicht.
Jieret stieß sich die Knöchel an, als er sich verspätet auf eine wütende Suche begab, doch er fand weder Gerte noch Peitsche. Er versuchte, das Pony durch wilde Armbewegungen anzutreiben, doch das Tier schnappte nur nach ihm. Von Rachsucht getrieben schlugen die Hufe gegen den Kutschbock. Als ein Hieb seine Stiefelsohle traf und heftigen Schmerz auslöste, blickte Idrien finster drein.
Jieret klammerte sich ergrimmt an angemessene Umgangsformen. »Unsere Kundschafter sind unterwegs um andere Opfer zu finden«, log er erhaben. »Wenn Ihr hofft, am Leben zu bleiben und gegen Lösegeld freizukommen, dann schweigt.«
Trotz all der nicht eingeplanten Aufregung geleiteten die Knaben den Wagen geschwind durch die Dunkelheit. An einem natürlichen Gefälle zwischen Kreidefelsen befahlen sie, das Pony abzuspannen. Idrien hielt den alten Mann mit seinem Stock in Schach, während Jieret Strauchwerk sammelte, um die Beute zu tarnen. Dann, beständig heitere Jauchzer unterdrückend, hetzten die Knaben ihren Gefangenen durch den Wald zu der Clanversammlung, die sie verlassen hatten, das Abenteuer zu suchen.
Am Rand des Lagers verloren sie die Kontrolle. Jieret brach in laute Schreie aus, während Idrien die Tänzer in Panik versetzte, als er seinen Spielzeugspeer mitten in das große Feuer hineinschleuderte. Funken flogen; das Fest löste sich in Verwirrung auf, als ledergekleidete Kundschafter eilends nach ihren Waffen griffen und andere sich von ihrem Wachposten mit gezogenen Waffen näherten.
Blinzelnd stolperte der Gefangene dem bewegten Licht der Fackeln entgegen und blieb stehen. Jieret trotzte den Zähnen des Ponys, die nach dem schwarz-goldenen Stoff des Mantels schnappten, und zerrte seinen widerstrebenden Gefangenen näher an die Feuer heran.
»Hier!« Er winkte dem größten der nähertretenden Männer zu. »Wir haben eine Geisel, Vater, und ein Pony für Tashka.«
Steiven, Regent der Clanregierung Rathains, war ein Mann, der selbst in der Dunkelheit inmitten einer Menge ledergekleideter Kundschafter, schwer zu übersehen war. Hoch aufgeschossen bewegte sich der dunkelhaarige Mann mit der Grazie eines Rehs. Seine Augen, haselnußbraun, waren so wachsam wie die jedes Waldbewohners, dessen Art zu lange Zeit gejagt worden war. Er hatte große und starke Hände und ein glattrasiertes, kantiges Kinn. Sein Gesichtsschnitt kündete von einer rohen Schönheit, ein Eindruck, der beim ersten Anblick der Narbe, die sich von seinem Wangenknochen über das Kinn bis zum Schlüsselbein zog, gleich wieder schwand.
Die Hauer eines Keilers mochten eine solche Entstellung verursachen; tatsächlich war Steivens Aussehen jedoch durch ein erhitztes Koppelschloß ruiniert worden, als er mit zehn Jahren einem Wagen nachgejagt hatte, auf dem die Kopfjäger die Skalps seiner Brüder transportierten.
Er hatte Glück gehabt, daß er mit dem Leben davongekommen war.
Der Anblick seines halbwüchsigen Sohnes, der mit einem Gefangenen in der Kleidung der Städter freudestrahlend in das Lager tanzte, versetzte ihm einen Schrecken, der viel mit den Erinnerungen zu tun hatte, die ihn in seinen Träumen plagten. Trotzdem war er ein Mann, der erst zuhörte, ehe er handelte. Ein halbes Leben als Clanführer hatte ihn gelehrt, stets absolut fair zu sein. Obwohl sein Herz zu schnell schlug und er sich wünschte, seinem Sohn für diesen jüngsten, unvernünftig dummen Streich den Hosenboden zu versohlen, zwang er sich, nachzudenken und weiterzugehen; und dann hob der Gefangene den Kopf. Auseinanderstehende Vorderzähne entblößten sich zu einem strahlenden
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