Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
daß ihre Ratshalle durch nichts anderes als alltägliche Riegel und Schlösser versiegelt war.
Irgendwann, von niemandem bemerkt, war der Zauberer Traithe verschwunden.
Voller Demut versammelten sich Etarras Würdenträger auf den Podesten, als sie hörten, daß Lysaer ihren Kampf gegen die Monarchie auf seine Schultern geladen hatte. Inmitten gesplitterter Bretter und zerrissener Seide standen sie wachsam an Lysaers Seite.
Ohne sich ihrer Anwesenheit bewußt zu werden, stand Lysaer im gleißenden Licht und rang mit der enttäuschenden Erkenntnis, daß Arithons umfangreicheres Wissen ihn geschlagen hatte. Nur seine Entschlossenheit hielt ihn aufrecht. Er würde Etarras Not bekämpfen, bis seine letzte Kraft ihn verließ. Die Schatten waren inzwischen bis über die Grenze der Stadt hinausgetrieben worden. Nicht fähig, wahrzunehmen, daß das Blutvergießen geendet hatte, jagte Lysaer in wilder Zielstrebigkeit sein Licht hinaus.
Diegan war ihm am nächsten, als seine weit ausgebreiteten Arme zu zittern begannen. Die lichtüberfluteten Hände zuckten und ballten sich am äußersten Rand vollkommener Erschöpfung zu Fäusten, und Lysaers Leib erbebte krampfhaft. Er schwankte auf seinen Füßen, und da, an seiner Seite, war Etarras Lordkommandant, der ihn stützte, als er fiel.
Flackernd öffneten sich seine Augen mit einem gemarterten Ausdruck der vollkommenen Niederlage.
Erfüllt von Mitleid sagte Lord Diegan: »Lysaer, es ist alles in Ordnung. Die Aufstände sind beendet. Ihr habt genug getan, das Blutvergießen zu beenden, und die Schatten sind bis jenseits unserer Stadttore verdrängt.«
»Es ist nicht alles in Ordnung!« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern ungesühnten Zornes, als Lysaer in Diegans Armen zusammenbrach. »Nichts ist zu Ende. Weder Dunkelheit noch der Prinz der Finsternis soll über Rathain herrschen, solange ich lebe.«
Auf dem Podest, auf dem ein gekrönter König einen Eid auf die königliche Charta hätte ablegen sollen, nahm die von der Bruderschaft geschaffene Akustik auch die leisesten Worte auf. Lysaers leidenschaftliches Versprechen erreichte klar und deutlich selbst die äußersten Enden des Platzes.
Für ein Dutzend Herzschläge herrschte Stille. Dann schien die Luft selbst zerspringen zu wollen, als die versammelte Menschenmenge Tausender Bürger Etarras den angehaltenen Atem lauthals in zustimmenden Jubelschreien entließ. Die donnernde Ehrerbietung ließ die Erde erzittern. Doch der Prinz, der dem Volk zu einer Atempause verholfen hatte, hörte nichts davon, waren ihm doch längst in Diegans Armen die Sinne geschwunden.
Kurz nach Mitternacht verzogen sich die Schatten, die Arithon über Etarra zurückgelassen hatte, aus eigenem Antrieb. Zu diesem Zeitpunkt war die Bevölkerung bereits sehr von dem Helden in ihrer Mitte eingenommen; Gerüchte schrieben die Befreiung von den Schatten dem blonden Prinzen aus dem Westen zu. Zu wortkarg, seiner Zufriedenheit über das gelungene Werk dieses langen Tages Ausdruck zu verleihen, thronte Gnudsog auf dem Fenstersims von Lordgouverneur Morfetts bester Gästesuite und blickte auf den Platz hinunter. Ohne seine Kampfausrüstung, noch immer in die verschwitzte Wollwäsche gekleidet, die er unter seinem Kettenhemd zu tragen pflegte, trank er Wein aus einem gewaltigen Messingkrug. Seine torfmoorschwarzen Augen beobachteten brütend, wie die regierenden Herren Etarras sämtliche Möbel des Raumes in Beschlag nahmen und hitzig über den Einsatz seiner Truppen debattierten.
Ihre welken Schmuckbänder und die schlecht geplättete Seide ihrer Kleider verliehen dem Raum die Ausstrahlung eines zweitklassigen Bordells. In ihrer Mitte, glanzvoll in seinem Samt und den kühl glitzernden Saphiren, lag Lysaer s’Ilessid bewußtlos oder auch nur in den tiefen Schlaf der Erschöpfung gesunken. Der Heiler, der ihn untersucht hatte, hatte empfohlen, ihn ruhen zu lassen, ehe er, ohne eine Prognose zu wagen, gegangen war.
Anfällig für zwiespältige Gefühle gegenüber der Argumentation, trank Gnudsog. Ungeduldig ließ er seine Fingerknöchel krachen. Das Gewäsch der Ratsherren verärgerte ihn. Wiederholte Suchaktionen hatten zweifelsfrei ergeben, daß jeder der Bruderschaftszauberer offenbar spontan verschwunden war; Suchmannschaften hatten den ganzen Lagerhausbezirk auf den Kopf gestellt, ohne Ergebnis. Die zwangsweise eingezogenen Fleischabdecker waren davongelaufen. Der Gerechtigkeit konnte nun kaum mehr Genüge geleistet werden, bis ein
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