Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
gehalten wurde.
Diegans Nackenhaare richteten sich auf, während er verblüfft feststellte, wie sehr seine Erinnerungen verblaßt waren. Beinahe hätte er die schmale Gestalt des Prinzen von Rathain vergessen, ebenso wie die Überheblichkeit, mit der dieser Mann sich über jeglichen Anstand zu stellen imstande war. Überwältigt von dem machtvollen Wunsch nach Vergeltung, mußte er seinen Blick von dem Prinzen losreißen, um seiner Schwester die angemessene Aufmerksamkeit zu erweisen.
Talith schien bei guter Gesundheit, wenngleich ein wenig abgespannt, zu sein. Dunkle Brauen und Wimpern umrahmten lohbraune Augen, die funkelten wie frisch polierte Messingscheiben. Ungewohnt nachgiebig paßte sie ihren Schritt dem Arithons an, wie Lord Diegan wenig erfreut zur Kenntnis nahm. Viel zu hochmütig, Sentimentalität zu offenbaren, zeigte sich in ihren vornehm blassen Zügen nicht die kleinste Spur der Wiedersehensfreude.
Mochte auch ihr Stolz ungebrochen sein, so hatte die Zeit, die sie mit dem Feind verbracht hatte, sie doch verändert.
In wehrlosem, unterdrückten Zorn angesichts des Unglücks, das aus seiner Schwester eine lebendige Schachfigur im Spiel zweier erbitterter Feinde gemacht hatte, ballte Diegan krampfhaft die Fäuste.
Schließlich blieb die Delegation, die Talith geleitet hatte, stehen. Kaum einen Messerstich war der Herr der Schatten noch von Diegan entfernt. Kalte, klare grüne Augen richteten sich unerschütterlich auf die feindseligen Züge des Lordkommandanten. »Gnädiger Herr, hier übergebe ich Euch die gnädige Frau, Eure Schwester.« Mit diesen Worten überließ er Talith dem Arm ihres Bruders.
Ihre Berührung war eisig, ihr Gesicht eine marmorne Maske. Die Brosche aus geschliffenem Glas, die an ihrem Dekollete befestigt war, funkelte im Rhythmus ihrer Atemzüge. Etarranerin bis ins Herz, bewahrte sie eisern Haltung, wenngleich sich ihre Finger auf dem Ärmel von Diegans höfischer Kleidung mit aller Kraft in den feinen Damast bohrten.
Gezwungen, seinen siedenden Zorn im Zaum zu halten, überbrachte der Lordkommandant Avenors die Botschaft, die sein Gebieter dem Herrn der Schatten sandte: »Für unsere Leute ist das Vermögen, das Ihr durch diese skrupellose Tat erworben habt, ein Übel. Gemeinsam mit dem Reichtum, den Ihr erpreßt habt, sendet Euch mein Prinz daher dieses Geschenk.« Diegan öffnete eine Tasche an seinem Gürtel und übergab Arithon einen schmalen Lederbeutel.
Aus wohlerwogenen Gründen war das Bündel nicht zugeschnürt. Als das Leder sich öffnete, blitzte eine halbmondförmige Scheibe messingfarben auf. Unter den Augen aller Anwesenden enthüllte sich die Gabe den Blicken ihres Empfängers, und sämtliche Farbe wich aus Arithons Gesicht. Er mußte kein zweites Mal hinsehen, um diese vorzügliche Arbeit wiederzuerkennen, die er zum letzten Mal an Deck der Brigg Schwarzer Drache gesehen hatte. Zu Farsee, als Lohn für die Überfahrt, war dieses Instrument sein Geschenk an Kapitän Dhirken gewesen. »Besser, Ihr erklärt mir umgehend, wie dies in Euren Besitz gelangen konnte.«
»Das spricht doch seine eigene Sprache«, konterte Lord Diegan boshaft. »Ein weiterer Eurer Verbündeter wurde hingerichtet.«
»Auf wessen Befehl?« Zu sehr am Boden zerstört, um sich mit Spitzfindigkeiten aufzuhalten, krallte Arithon die Finger um die schimmernden, zarten Linien paravianischer Gravurkunst. Er schien die anderen Anwesenden gänzlich vergessen zu haben. Selbst der aufmerksame Blick, mit dem Sethvir ihn musterte, schien ihm nicht bewußt zu sein. »Kapitän Dhirken schuldete mir keine Loyalität. Ich habe ihr Schiff lediglich zu Transportzwecken geheuert.« Unfähig, seinen unglaublichen Schmerz zu zügeln, fügte er hinzu: »So wahr Ath mein Zeuge ist, sie hätte Euch das gleiche gesagt, hätte sie die Gelegenheit dazu bekommen. Sie war meinen Angelegenheiten nie verpflichtet.«
»In der Stunde, in der sie ihr Kommando übergeben hat, hat sie das gleiche behauptet. Mearn s’Brydion hat ihr geglaubt, bis Euer Geschenk ihr Zeugnis Lügen strafte. Für Euch muß sie wohl von Bedeutung gewesen sein«, erklärte Lord Diegan eigensinnig, durch die Erkenntnis, daß sein Prinz einen ganz erstaunlichen Sieg errungen hatte, zu freudiger Erregung getrieben. »Aus welchem anderen Grund solltet Ihr einer Fremden eine so kostbare Gabe darreichen?«
»Eure Verbündeten hätten leicht herausfinden können, ob sie mir am Herzen lag.« Arithon blickte auf. Glasklar erklang seine Stimme in der
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