Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
und ein satter Vollmond warf kaltes Licht durch ein kleines Fenster in der dicken Steinwand.
Richard zitterte immer noch, wenn auch nicht mehr so heftig wie zuvor. Jana legte sich in einigem Abstand zu ihm und versuchte zu schlafen, jedoch ohne Erfolg. Der gepeinigte Mann wälzte sich unruhig hin und her, wimmerte und bäumte sich unter Schmerzen auf.
»Nein … nicht … bitte nicht«, wimmerte er. Jana fühlte sich selbst ganz elend. Ihr Kopf dröhnte und drohte zu platzen. Es war, als hämmerte eine ganze Legion von Schmieden darin um die Wette. Sie verspürte großen Durst. Ihre Zunge war dick und geschwollen. Jana brauchte Wasser, klares, frisches Wasser. Am besten einen ganzen Krug voll. Am Dorfplatz war ein Brunnen, sie brauchte bloß aufzustehen und die paar Schritte dorthin zu gehen. Aber sie fühlte sich zu schwach dazu. Je länger sie im Stroh lag, umso müder wurde sie. Mit jedem Atemzug schwand ihre Kraft. Erschöpft schloss sie die Augen und fiel in einen unruhigen Dämmerzustand. Richards Schluchzen nahm sie nur noch aus weiter Ferne wahr. Die Geräusche wurden Teil ihrer eigenen Albträume.
Als Jana am nächsten Morgen erwachte, schien ihr die Sonne durch das kleine Stallfenster direkt ins Gesicht. Es roch säuerlich nach Erbrochenem. Jana richtete sich auf, und es dauerte einen Augenblick, bis sie begriff, wo sie sich befand. Der Platz im Stroh neben ihr war leer, die Decke feucht und mit unverdauten Essensresten verklebt. Jana spürte, wie ihr erneut übel wurde, zudem war sie immer noch durstig, und ihr Kopf fühlte sich dumpf an. Aber wenigstens hatte das schreckliche Dröhnen und Pochen darin nachgelassen.
Vorsichtig richtete sie sich auf und trat ins Freie. Ihre Lungen füllten sich mit frischer Luft, und mit jedem Atemzug wich die Dumpfheit aus ihrem Kopf.
Mara saß bereits vor ihrem Haus und putzte Bohnen.
»Euer Mann ist unten am Fluss«, sagte sie und zeigte in die Richtung, aus der Jana und Richard gestern gekommen waren.
»Danke!«
Jana folgte einem schmalen Weg über große Felsplatten. Schon von weitem hörte sie das Plätschern einer Quelle, die aus einem der Felsen entsprang. Als sie näher kam, sah sie, dass das Wasser in einem glatten Becken zusammenlief.
Richard saß am Rand des Beckens. Sein Haar war nass und glänzte in der Sonne. Er hatte sein Hemd gewaschen, das zum Trocknen auf einem Stein neben ihm lag.
Als er Jana kommen hörte, griff er verlegen nach dem Hemd und wollte es überziehen, ließ es aber bleiben.
»Die Leute denken ohnehin, dass Ihr meine Frau seid.«
Jana schüttelte den Kopf: »Und was, wenn ich Euch nicht nackt sehen will?«
»Dann dreht Euch um.«
Jana war nicht nach Streiten zumute. Sie setzte sich zu Richard und fragte: »Geht es Euch wieder besser? Ich habe mir gestern große Sorgen gemacht.«
Überrascht zog Richard die Augenbrauen hoch und sah dabei sehr charmant aus.
»Ihr habt Euch um mich gesorgt?«, fragte er belustigt.
Jana errötete gegen ihren Willen.
»Ihr habt zu viel von dem Yopo erwischt und fantasiert. Ihr habt mich zuerst für Eure Frau Julia gehalten und dann für eine andere namens Becca.«
Augenblicklich wich jede Farbe aus Richards ohnehin blassem Gesicht. Seine dunklen Augen sahen darin fast schwarz aus. Für einen kurzen Moment fühlte sich Jana zu ihm hingezogen. Sie spürte das dringende Bedürfnis, den Mann zu trösten.
»Es waren keine Fantasien, sondern Bilder aus meiner Vergangenheit, die mich quälen«, sagte er leise.
»Dieses Pulver ist ein ganz teuflisches Zeug. Ich habe selbst schreckliche Dinge geträumt.«
Richard schüttelte den Kopf.
»Was ich gesehen habe, ist tatsächlich passiert. Meine Vergangenheit ist schrecklicher, als jede Fantasie es sein kann.«
Jana legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter, was wegen seiner Nacktheit seltsam war. Er zuckte unter der Berührung zusammen und starrte die Hand an, als wäre sie eine Bedrohung. Sofort zog Jana sie wieder weg.
»Wollt Ihr erzählen, was Euch quält?«, fragte Jana sanft.
Richard hob seinen Kopf und suchte ihren Blick. In seinen Augen lag eine Traurigkeit, die Jana schier die Luft zum Atmen nahm.
»Ich habe mein eigenes Kind getötet«, sagte er tonlos.
Jana sog scharf die Luft ein. Sie hoffte, dass sie sich eben verhört hatte. Aber Richard wiederholte: »Ich bin der Mörder meiner Tochter.«
»Das kann ich nicht glauben.«
Richard vergrub sein Gesicht in den Händen, fuhr sich dann mit den Fingern durchs Haar und seufzte
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