Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
laut.
»Becca war unser ältestes Kind, der Grund, warum Julia mich geheiratet hat. Weder ihre Mutter noch Sir Walter Raleigh hätten jemals unserer Ehe zugestimmt. Selbst Tom versuchte die Verbindung zu verhindern. Er konnte mich nicht ausstehen. Aber Julia war schwanger, und so mussten wir heirateten. Als Becca geboren wurde, war die Welt für uns in Ordnung. Nie zuvor war ich so glücklich gewesen. Meine Tochter war ein kleiner Engel, mit blondem Haar und großen blauen Augen. Sie war Julias Ebenbild und das Beste, was ich in meinem Leben zustande gebracht hatte. Ich liebte dieses Kind mehr als alles andere in meinem Leben. Die anderen belächelten mich, da sie ja bloß eine Tochter war und kein Sohn. Aber ich schwöre Euch, sie war mein Ein und Alles. Und dann … habe ich sie getötet … so wie ich alles zerstöre, was ich liebe.«
»Ihr steht immer noch unter dem Einfluss des Rauschmittels«, sagte Jana.
Aber Richard schüttelte den Kopf: »Leider nein. Alles, was ich sage, stimmt. Ich bin ein Mörder.« Als er Jana ansah, wusste sie, dass er die Wahrheit sagte.
»An dem Tag, an dem Becca starb, war ich mit ihr auf dem Markt. Wir wollten frische Pasteten kaufen und sie Julia bringen. Meine Frau war mit unserem zweiten Kind Mary schwanger. Ihr Bauch war schon sehr dick, und das Kind sollte bald kommen.« Bei der Erinnerung an den Bauch seiner Frau lächelte Richard. Doch als er weitersprach, verschwand das Lächeln wieder. »Es war ein eisiger Tag im Januar. Die Themse war zugefroren, und die Lehrlinge hatten sich Knochen auf die Schuhe gebunden und fuhren damit über das Eis. Becca stand daneben und jubelte vor Freude. Sie klatschte in ihre kleinen Hände und applaudierte den Burschen. Sie wollte weiter zusehen, also lief ich schnell allein zum Bäcker, um die Pasteten zu kaufen. Ich konnte ihr nie eine Bitte abschlagen, sie hatte so viel Freude. Aber ich beeilte mich, um schnell wieder bei ihr zu sein.«
Jana fürchtete, das Ende der Geschichte zu kennen, noch bevor Richard es erzählte.
»Der Bäcker hatte seinen Laden direkt am Ufer. Ich konnte vom Verkaufsstand zu den Lehrlingen sehen. Als Becca aufs Eis trat, bezahlte ich die Pasteten. Die Bäckerin wollte mir das Retourgeld geben, aber ich ließ die Münzen liegen und lief zurück zum Ufer. Becca lachte. Dann rutschte sie aus, stand aber gleich wieder auf. Ihre Stimme klang hell und fröhlich, und sie hörte mich nicht. Ich rief sie zurück, aber sie rutschte immer weiter in die Mitte des Flusses. Einer der Jungen sah sie und winkte ihr aufgeregt zu. Aber sie verstand ihn nicht, winkte nur zurück und lief weiter …«
Janas Herz setzte für einen Moment aus. Vor ihrem geistigen Auge wurde die schreckliche Szene lebendig.
»Das Eis knackte. Ich werde das Geräusch nie vergessen. Der Riss verlief von einem Ufer zum anderen. Direkt unter Becca gab das Eis nach, und sie brach ein. Alles ging so schnell. Sie begriff die Gefahr nicht, in der sie sich befand, und lachte immer noch. Plötzlich war sie weg, unter der Eisfläche verschwunden. Ich schrie und stürzte aufs Eis. Aber ein Mann hielt mich zurück. Er meinte, ich würde ebenfalls einbrechen. Doch das war mir egal. Ich wollte zu Becca. Jemand rief um Hilfe. Aus den Häusern kamen Männer und Frauen. Sie trugen Hacken, Hämmer und Seile. Es war ein sinnloser Kampf. Becca lag längst am Grund der Themse. Mein kleines Mädchen, für immer weg, und es war allein meine … Schuld.«
»Das ist schrecklich«, sagte Jana betroffen und legte ihre Hand erneut auf Richards Schulter. Diesmal zuckte er nicht zusammen. Seine Haut fühlte sich kühl an.
»Julia hat mir nie verziehen. Sie hasst mich, denn ich bin der Mörder unserer Tochter. Aus diesem Grund werde ich niemals zu ihr zurückkehren.«
»Es war ein Unfall«, sagte Jana.
»Ich hätte sie nicht aus den Augen lassen dürfen.«
Eine Weile schwiegen beide. Jana suchte nach Worten des Trostes, aber es gab keine. Ein Vogel wagte sich ganz nah an die schweigenden Menschen heran und trank aus der aufgestauten Quelle. Als Jana erneut sprach, schreckte er auf und flog weg.
»Es ist etwas Schreckliches passiert. Aber es kann keine Lösung sein, Eure Trauer im Alkohol zu ertränken«, sagte sie.
»Warum nicht? An manchen Tagen funktioniert das Vergessen hervorragend«, erwiderte Richard in gewohnt distanzierten Worten.
Verärgert schüttelte Jana den Kopf: »Das ist zu einfach. Ihr habt noch immer zwei gesunde Kinder. Ein Mädchen und einen Jungen.
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