Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Titel: Der Fluch des Verächters - Covenant 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
Vom Netzwerk:
die Verantwortung für derartig oberflächlichen Mist trug. An jenem Abend las er nochmals seinen ersten Roman, den Bestseller. Danach entzündete er, indem er sich mit außerordentlicher Behutsamkeit bewegte, im Kamin ein Feuer und verbrannte sowohl den Roman wie auch das neue, unfertige Manuskript. Feuer! dachte er. Läuterung. Wenn ich schon kein weiteres Wort schreibe, will ich mein Leben wenigstens von diesen Lügen säubern. Fantasie! Wie konnte ich jemals so selbstgefällig sein? Und während er zusah, wie die Blätter zu grauer Asche zerfielen, tilgte er zugleich jeden Gedanken an künftiges Schreiben. Zum erstenmal verstand er einen Teil dessen, was die Ärzte gepredigt hatten: Er mußte sich seiner Fantasie entledigen. Er konnte sich keine Fantasie leisten, eine Fähigkeit, die es ihm ermöglichte, sich Joan vorzustellen, Freude, Gesundheit. Wenn er sich mit unerreichbaren Begierden folterte, schwächte er seinen Halt an der Grundregel, die ihm das Überleben gestattete. Seine Fantasie konnte ihn ums Leben bringen, ihn zum Freitod verführen, verleiten oder ihn ihm aufdrängen; die Vorstellung alles dessen, was er entbehren mußte, mochte ihn zur Verzweiflung treiben. Als das Feuer erlosch, zertrampelte er die Asche unter seinen Füßen, wie um sicherzugehen, daß das Papier auch von den Flammen verzehrt blieb.
    Am nächsten Morgen begann er damit, sein weiteres Leben zu organisieren. Zuerst suchte er sein altes, gerades Rasiermesser heraus. Die lange Klinge aus rostfreiem Stahl blinkte im schillernden Licht seines Badezimmers wie ein höhnisches Grinsen. Aber er zog es mit Vorbedacht ab, schäumte sich das Gesicht ein, drückte sein wackliges Gerippe ans Waschbecken und setzte sich die Klinge an die Kehle. Er spürte sie an seiner Halsschlagader wie einen Strich aus kaltem Feuer, eine hautnahe Drohung mit Blut und Gangrän und reaktivierter Lepra. Sollte seine teilweise entfingerte Hand ausrutschen oder zucken, waren außerordentlich ernste Folgen zu befürchten. Aber er nahm das Risiko bewußt auf sich, um sich Disziplin einzutrichtern, sein Wissen um die kostbaren Voraussetzungen des Überlebens zu festigen, seine Entschlossenheit zu untermauern. Er machte die Rasur mit dieser Klinge zu einer festen Einrichtung, einem Ritual der täglichen Konfrontation mit seinem Zustand. Aus dem gleichen Grund gewöhnte er es sich an, ständig ein Taschenmesser bei sich zu tragen. Sobald er spürte, daß seine Disziplin zu erschlaffen drohte, wenn er sich von Erinnerungen, Hoffnungen oder aussichtsloser Liebe gefährdet fühlte, holte er das Messer heraus und erprobte die Klinge an seinem Handgelenk. Im Anschluß an die Rasur begann er im Haus zu arbeiten. Er machte sauber und räumte auf, stellte die Möbel so um, daß die Gefahren von spitzen Ecken, harten Kanten und verborgenen Hindernissen sich weitmöglichst verringerten; er schaffte alles beiseite, worüber er fallen oder woran er sich stoßen konnte, was ihn möglicherweise hinderte, so daß er sich letztendlich sogar im Dunkeln in den Zimmern sicher zu bewegen und zurechtzufinden vermochte. Er veränderte das ganze Haus, bis es soweit wie überhaupt möglich seinem Zimmer im Leprosorium ähnelte. Er schob alles, was für ihn ein unerwünschtes Risiko bedeutete, ins Gästezimmer ab; und als das getan war, schloß er das Gästezimmer ab und warf den Schlüssel fort. Er verriegelte auch die Hütte mit seinen Arbeitsräumen und entfernte ihre Sicherungen, so daß in den alten Leitungen kein Kurzschluß entstehen konnte. Schließlich wusch er sich den Schweiß von den Händen. Er wusch sie mit grimmiger Besessenheit; er mußte es – die körperliche Empfindung von Unreinheit war zu stark. Lepra. Ausgestoßener. Unrein.
    Den Herbst brachte er damit zu, an den Schluchten des Wahnsinns entlangzustolpern. Düsterer Groll pochte in seinem Innern wie eine zwischen seine Rippen gerammte Pica , trieb ihn ziellos umher. Er verspürte das unersättliche Bedürfnis nach Schlaf, durfte ihm jedoch nicht nachgeben, weil sich seine Träume in Alpträume verwandelt hatten; trotz seiner allgemeinen Abstumpfung litt er unter dem Eindruck, langsam zerfressen zu werden. Und das Wachsein konfrontierte ihn mit einem tückischen, unauflösbaren Paradoxon. Er bezweifelte, daß er ohne den Beistand oder die Ermutigung anderer Menschen die Last dieses Kampfes gegen Grauen und Tod lange tragen könne; doch gleichzeitig erklärten ja dies Grauen und dieser Tod die Verweigerung von Beistand

Weitere Kostenlose Bücher