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Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Der Fluch des Verächters - Covenant 01

Titel: Der Fluch des Verächters - Covenant 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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ihnen klaffte eine weite, offene Wunde von Leere. ›Das bringt uns auf ein anderes Problem. Es hört sich ganz unkompliziert an, aber Sie werden feststellen, daß es verheerende Wirkungen zur Folge haben kann. Die meisten Menschen sind stark von ihrem Tastsinn abhängig. Die gesamte Struktur ihrer Reaktionen auf die Realität ist um ihren Tastsinn organisiert. Sie mögen ihren Augen und Ohren mißtrauen, aber was sie anfassen können, gibt ihnen die Sicherheit, es ist real. Es ist kein Zufall, daß wir die tiefsten Teile von uns selbst – unsere Emotionen – in Begriffen des Tastsinns ausdrücken: schon das Begreifen selbst wie der Begriff: Traurige Geschichten berühren unsere Gefühle . Ärgerliche Situationen reizen oder schmerzen uns. Dies ist ein unausweichliches Resultat der Tatsache, daß wir biologische Organismen sind. Sie müssen alle Anstrengungen unternehmen, um diese Orientierung umzuändern. Sie sind intelligente Lebewesen – jeder von Ihnen hat ein Gehirn zu seiner Verfügung. Benutzen Sie es. Setzen Sie es ein, um die Gefahren zu erkennen, die Ihnen drohen. Verwenden Sie es, um sich aufs Überleben zu drillen.‹
    Danach wachte er jedesmal schweißgebadet allein in seinem Bett auf, die Augen aus den Höhlen gequollen, die Lippen verpreßt durch Wimmerlaute, die sich zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hinauszwängen wollten. Traum um Traum, Woche um Woche hielt dieser Zustand an. Tag um Tag mußte er sich mit dem eigenen Groll strafen, um sich zum Verlassen der ungenügenden Zuflucht seines Zimmers zu zwingen.
    Aber er blieb bei seiner grundsätzlichen Entscheidung. Er lernte Patienten kennen, die schon mehrfach ins Leprosorium zurückgekehrt waren – gehetzte Rückfällige, die die wesentliche Anforderung ihrer Prüfung nicht zu erfüllen vermochten, nämlich sich ans Leben zu klammern, ohne irgendwelche der Gegenleistungen zu begehren, die dem Leben seinen Wert gaben. Ihr zyklischer Verfall verhalf ihm zu der Erkenntnis, daß seine Alpträume den Rohstoff des Überlebens enthielten. Nacht für Nacht trieb sie ihn ins Ringen mit der brutalen und unabänderlichen Grundregel der Leprose; in einem inneren Kampf nach dem anderen zeigte sie ihm auf, daß die vollständige Unterordnung unter diese Grundregel sein einziger Schutz gegen den Eiter war, gegen Fraß und Fäulnis und Blindheit. Während des fünften und sechsten Monats im Leprosorium praktizierte er seine VBG und andere Übungen mit manischer Hartnäckigkeit. Er starrte die kahlen antiseptischen Wände seines Zimmers an, als wolle er sich selbst durch ihren Anblick hypnotisieren. Im Hintergrund seines Bewußtseins zählte er die Stunden zwischen den Verabreichungen seiner Medikamente. Und wann immer er ein Versäumnis beging, im Rhythmus seiner Selbstverteidigung einen Takt ausließ, überhäufte er sich selbst mit Verwünschungen. Nach sieben Monaten waren die Ärzte davon überzeugt, daß es sich bei seiner Hartnäckigkeit nicht bloß um eine zeitweilige Phase handelte. Sie waren im Rahmen des Möglichen dessen sicher, daß die Ausbreitung seines Leidens gehemmt war; sie schickten ihn heim.
     
    Als er im Spätsommer ins Haus auf der Haven Farm heimkehrte, meinte er, daß er auf alles vorbereitet sei. Er hatte sich darauf eingestellt, keinerlei Nachricht von Joan vorzufinden, auf den entsetzlichen Widerwillen seiner früheren Freunde und Bekannten gefaßt gemacht; dennoch bereiteten diese Unannehmlichkeiten ihm ein Schwindelgefühl der Übelkeit, das durch Wut und Selbstabscheu entstand. Der Anblick von Joans und Rogers zurückgebliebenen Habseligkeiten im Haus, die Verlassenheit der Ställe, worin Joan sonst die Pferde unterzustellen pflegte, quälten sein wundes Herz wie Säure – aber auch dagegen hatte er sich vorher hinreichend gestählt. Trotzdem war er nicht genug gewappnet, nicht gegen alles. Nachdem er sich doppelt und dreifach vergewissert hatte, daß keine Post von Joan vorlag, nachdem er telefonisch mit der Rechtsanwältin gesprochen hatte, die seine Angelegenheiten regelte – sogar durch die metallene Verbindung des Kabels war in der Stimme der Frau ihr Unbehagen wahrnehmbar gewesen –, begab er sich in seine Hütte mit Blick auf die Wälder und setzte sich hin, um zu lesen, was er bisher am neuen Buch geschrieben hatte.
    Die hirnblinde Armseligkeit seiner Zeilen kostete ihn fast den Verstand. Es wäre eine Schmeichelei gewesen, sie in lachhaftem Maße kindisch zu nennen. Er vermochte kaum zu glauben, daß er selbst

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