Der Fluch des Volkstribuns
dagewesenes Schauspiel. Meines Wissens gehörte Ateius keinem priesterlichen Kollegium an. Er zelebrierte seine Zeremonie nicht in einem Tempel, vor einem Schrein oder einem anderen geweihten Ort. Doch trotz dieser dreisten Kühnheit dachte niemand daran, ihn aufzuhalten. Es war nicht so, als ob uns irgendeine Autorität daran gehindert hätte. Wir Römer unterbrachen nur äußerst ungern ein einmal begonnenes Ritual. Wir lernten von frühester Jugend an, daß ein Ritus ohne Unterbrechung und Fehler von Anfang bis zum Ende vollzogen werden mußte. Ateius machte sich unsere gedankenlose Folgsamkeit gegenüber dem rituellen Gesetz zunutze.
Er wies jetzt mit einem mit Myrte umwundenen Stab, dessen Spitze aussah wie der Schädel eines Säuglings, auf Crassus.
»Unsterbliche! Marcus Licinius Crassus hat die zahlreichen und deutlichen Omen nicht beachtet, die ihr geschickt habt, um euer Mißfallen mit seiner gottlosen Expedition kund zu tun, gegen den Willen des Senates und des Volkes Krieg zu führen!«
Das Ganze trug er in einer Art priesterlichem Gesang vor, mit einer Stimme, die man aus den Tempeln kennt, wo Priester oft Formeln aufsagen müssen, die in einer so antiquierten Sprache abgefaßt sind, daß sich selbst die größten Gelehrten über ihre genaue Bedeutung uneins sind, und die man nur in einem rhythmischen Singsang einigermaßen verständlich rezitieren kann.
Ateius hob seine Hände mit dem Stab in die Höhe und brüllte lauthals: »Ich verfluche diesen Mann! Ich verfluche seine Expedition und alle, die daran teilnehmen! Ich verfluche jeden in Rom, der sie unterstützt! Im Namen aller bisher angerufenen Götter belege ich das Haupt des Marcus Licinius Crassus mit den schrecklichsten Verwünschungen!«
Automatisch bedeckten wir unsere Köpfe, als würden wir an einem Opfer teilnehmen. Überall zückten Menschen glücksbringende Amulette und vollführten die uralten Gesten zur Abwendung von Unheil. Ein echter priesterlicher Fluch war eine große Seltenheit, mit dem für gewöhnlich nur ausländische Feinde oder in ganz seltenen Fällen ein römischer Verräter belegt wurde. Flüche wurden nur von ausgebildeten Priestern ausgesprochen, und auch dann nur unter streng vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen, um zu verhindern, daß der Priester oder ein unbeteiligter Zuschauer getroffen wurde.
Bisher! dachte ich. Wen wollte er noch anrufen? Ich sollte es bald erfahren.
Ateius griff in eine Falte seines seltsamen Gewandes und zog etwas hervor, das aussah wie eine getrocknete Schlange. Er warf es in die Flammen, und ein übelriechender Qualm stieg auf. Er zog eine getrocknete menschliche Hand hervor und warf auch sie auf den Rost. Weitere Kräuter, Wurzeln, konservierte Tierund Menschenteile wanderten in die grünen Flammen. Er zerbrach den Stab und warf ihn ebenfalls ins Feuer. Dann zückte er ein kleines Messer mit einer hakenförmigen Klinge, ritzte sich den Unterarm auf und ließ das Blut zischend ins Feuer tropfen, bevor er seinen Gesang wieder aufnahm.
»Vater Dis, Pluto der Unterwelt, Eita, Charun des Hammers, Tuchulcha, Orcus und alle Manen und Lemuren, ruft zur Unterstützung meines Fluches all die unaussprechlichen Trabanten eures Reiches!« Und dann kam er richtig zur Sache.
»Unsterbliche! Ich rufe...« An dieser Stelle nannte er einen Namen, den nur Geweihte im Rang eines Flamen in den Mund nehmen durften, und auch dann nur in Anwesenheit staatlich eingesetzter Priester. Es folgte ein weiterer Name und noch einer. Ich blickte mich um und sah, daß sämtliche bedeutenden Priester des Staates aschfahl geworden waren. Die Virgo maxima hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, und die hinter ihr stehenden Vestalinnen taten es ihr nach. Die anderen Bürger standen mit einem Ausdruck fassungslosen Entsetzens da. Man sieht nur selten Menschen, die gleichzeitig völlig panisch und absolut still sind.
Ateius' Stimme steigerte sich zu einem gespenstisch klagenden Kreischen. »Ich verfluche ihn auf ewig, im Leben wie im Tod! Ich verfluche seine Freunde und Anhänger! Im Namen aller angerufenen Götter und Dämonen verfluche ich sie alle für immer!« Mit den letzten Worten trat er gegen den Rost, der umstürzte und, Funken, heiße Kohlen und übelriechende Substanzen durch die Luft wirbelnd, auf das Pflaster krachte.
Die Menschen wichen schreiend zurück, und als wir uns wieder so weit gefaßt hatten, daß wir aufblicken konnten, war Ateius verschwunden. Lange sagte niemand ein Wort.
Schließlich
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