Der Fluch vom Valle della Luna
nur im Entferntesten etwas mit Politik zu tun haben könnten. Und was den Pisu-Fall angeht, wieso sagst du mir nicht, wie es zugegangen ist? Bist du nicht diejenige mit den übersinnlichen Fähigkeiten?«
Ironischer Ton, provozierender Blick. Tano spielt auf die Ereignisse des letzten Sommers an, als Nelly mit Hilfe von Claire, einer senegalesischen Madame mit übersinnlichen Fähigkeiten, auf recht unorthodoxe Weise an entscheidende Informationen im Fall des Serienkillers Simba gekommen war. Unter Gefahr für Leib und Leben. Die Erinnerung löst bei Nelly eine leichte Übelkeit aus.
»Hast du ein Problem mit mir? Dann red’ nicht um den heißen Brei, sondern spuck’s aus.«
Sie hat ihr Glas abgestellt und sieht Tano direkt an. Der Wein und die Feindseligkeit ihres Gegenübers haben ihr die Röte in die Wangen getrieben. Sie hat versucht, leise zu reden, doch offenbar vergeblich, denn der Wirt schielt verstohlen zu ihnen herüber. Offenbar gefällt Tano ihre Reaktion, ein unangenehmes kleines Lächeln erscheint auf seinen Lippen.
»Ich möchte wissen, was du von mir willst. Wie ich mich verhalten soll. Wie dein Teddybär, der dich tröstet und die Scherben zusammenfegt, während du auf die Rückkehr deines Kriegers wartest?«
Er umklammert das Weinglas so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. Nelly merkt, dass Tano kurz vorm Siedepunkt ist, und versucht sich im Zaum zu halten.
»Du wusstest doch von mir und Carlo. Dass ich ihn liebe, dass ich ihn nicht verlassen will, auch wenn ...« O nein, bitte nicht, mir zittern die Lippen, ich blöde Kuh! »Auch wenn ich mich bis über beide Ohren in dich verknallt habe. Er hat das einfach nicht verdient. Ich weiß, dass er der richtige Mann für mich ist. Vielleicht gerade weil er nie da ist, kann sein.« Herausfordernd hebt sie das Kinn. »Was soll ich machen? Eine Versetzung beantragen, damit ich dich nicht mehr sehe? Und du, wie steht’s mit dir? So wie’s aussieht, bist du auch nie lang allein. Du bist um meinetwillen nicht gerade zum Mönch geworden. Von wegen Teddybär, mit wie vielen bist du ausgegangen – Euphemismus –, seit wir uns kennen? Wenn du nicht die richtige Frau für dich findest oder einfach nur in der Gegend rumvögeln willst, musst du das nicht an mir auslassen.«
Tano holt tief Luft. Der Zorn verschwindet aus seinem Gesicht. Er nickt und gießt sich Wein nach.
»Du hast recht. Aber Gefühle lassen sich nun einmal nicht so ohne weiteres kleinreden. Wir leben nicht nur nach unserer Vernunft.«
Nelly fühlt sich ausgelaugt. Erschöpft. Sie hält ihm das leere Glas hin, ihre Lippen sind schmal, doch ihr Blick ist sanft. Er schüttelt resigniert den Kopf.
»Ich will nicht, dass du dich versetzen lässt. Um nichts in der Welt. Lieber lass ich mich versetzen.«
Tano klingt entschlossen. Nelly zuckt zusammen und spürt einen Kloß im Hals.
»Untersteh dich!«
Der Ausruf kommt derart spontan, dass Tano sich zu einem breiten Grinsen hinreißen lässt. Seine blauen Augen funkeln herausfordernd.
»Das möchtest du nicht?«
»Nein, bloß nicht.«
»Und wieso nicht?«
»Keine Ahnung.«
»Versuchen Sie nicht abzulenken und antworten Sie auf meine Fragen. Wieso nicht?«
Er hat seinen Verhör-Ton angeschlagen, und Nelly muss lachen. Der Wein macht sich langsam bemerkbar. Die Situation erscheint plötzlich weniger tragisch, eher amüsant und aufreizend. Mach keinen Blödsinn. Das gibt nur Ärger. Doch sie hat keine Lust, auf die Stimme der Vernunft zu hören.
»Weil du ein hervorragender Polizist bist?«
Tano legt den Kopf schief. Nelly steht mit dem Rücken an der Wand, doch sie schlägt sich tapfer.
»Keine Schmeicheleien, die Wahrheit.«
»Weil du so gute Restaurants kennst und so viel von Essen und Wein verstehst?«
Er runzelt drohend die Stirn. Sein Zeigefinger wackelt vor Nellys Nase hin und her.
»Vorsicht, Sie reiten sich immer weiter rein. Versuchen Sie nicht, mir was vorzumachen.«
Nelly lässt den Kopf nach vorn fallen. Die roten Locken verbergen ihr Gesicht. Sie sieht aus wie eine Schuldige.
»Dann muss ich wohl auspacken. Aber ich will einen Deal .«
Tano schüttelt ernst den Kopf.
»Wir sind nicht in Amerika, Herzchen.«
»Aber ich habe doch schon gestanden. Sagen Sie mir nicht, dass Sie das nicht mehr wissen, Dottor Esposito!«
»Nein, ich weiß es nicht mehr. Können Sie es wiederholen?«
Tanos Gesicht ist jetzt ganz dicht vor ihrem. Mit einem letzten Funken von Klarheit fragt sie sich, was zum Teufel sie
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