Der Fluch vom Valle della Luna
weit, ich muss zum Oberboss. Wir sehen uns nachher, Nelly.«
Auch der Dienstag ist gelaufen. Leicht außer Atem steigt Nelly die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf, denkt über Tanos Feindseligkeit nach und kommt zu dem Schluss, dass er durchaus einen Grund hat, auf sie sauer zu sein. Sie hätte ihn einweihen sollen, verflixt. Was hat sie sich nur dabei gedacht, ihn auszuschließen und sich hinter seinem Rücken mit Luca zu treffen? Ein reuevoller Seufzer entfährt ihr. Dabei ist sie doch sonst nicht so selbstkritisch. Sie schließt die Tür auf und stolpert fast über Silvestro, der wie ein Pfeil davonstiebt.
»Schon gut, schon gut, das Fresschen. Habt ihr vielleicht auch noch andere Interessen, vielleicht kultureller Art?«
Mühsam umdribbelt sie die Katzen, die ihr hungrig um die Beine streichen. In der Küche holt sie die Lachs-Brekkies unter der Spüle hervor und füllt damit großzügig die verschiedenfarbigen Schüsseln. Dann gießt sie Milch in drei Glasschälchen und kann sich endlich von den Nervensägen befreien. Weg mit den Schuhen, einen nach rechts, den anderen nach links, eine Blitzsuche nach den Dr.-Scholl-Sandalen, dann schält sich Nelly aus dem schwarzen Pulli und dem karierten Rock und verschwindet im Bad.
Die Szene vom vorigen Abend wiederholt sich. Sie sucht das passende Outfit für eine Essenseinladung heraus, doch Nelly ahnt, dass Tano nicht in der Stimmung sein wird, Unsummen in einem schicken Restaurant auszugeben. Eine Pizza und fertig, und wenn es gut läuft, will er die Rechnung nicht mit ihr teilen. Was das angeht, lässt du zu wünschen übrig, mein Guter. Und hack nicht zu sehr auf mir rum, sonst sind meine Gewissensbisse ganz schnell dahin und ich kratz dir die Augen aus. Nelly zieht sich an und stellt betrübt fest, dass ihre Taille wieder dicker zu werden droht. Aber wer jeden Abend ausgehen und sich sinnlos vollstopfen muss ... Zum x-ten Mal fällt ihr Blick auf das Telefon. Es bleibt stumm. Auch das Handy gibt kein Lebenszeichen von sich. Dieser Mistkerl von Mau lässt nie von sich hören. Keine Neuigkeiten sind gute Neuigkeiten. Wenn er was braucht, wird er sich schon melden. Das lockige Haar ist fast trocken. Ein bisschen Make-up , ein Hauch Parfüm, nur ein Hauch, ich will ihn schließlich nicht verführen, die Bernsteinkette, auf dem Schwarz kommt die gut. Es klingelt, das ist er, ab auf die Bühne.
Tano hat das Lanterna ausgewählt, Nellys Lieblingsrestaurant. Es liegt in der Altstadt, und sie gehen zu Fuß. Nellys Outfit ist für den Anlass genau richtig, das Lokal ist einfach und ohne Schnickschnack. Sie betreten den engen Raum, rechts der Tresen, hinter dem der Wirt seine Gäste und den Kellner im Auge hat. Links ein paar Tische, hinten ein bogenförmiger Durchgang, der in einen weiteren Gastraum führt. Sie setzen sich in den vorderen Teil an die Wand. Der Wirt, ein schnurrbärtiger, kräftiger Kerl, blickt neugierig zu ihnen herüber. Er kennt Nelly gut und sieht sie abwechselnd mit Carlo oder Tano. Zu gern würde er wissen, was Sache ist und mit wem sie was am Laufen hat. Vielleicht mit beiden, denkt er und macht sich daran, die Gläser zu polieren und auf die Borde zu stellen. Nelly vertieft sich in die Karte, obwohl sie schon genau weiß, dass sie Fischsuppe nehmen wird. Dazu den Weißwein des Hauses. Tano ist in eine wissenschaftliche Analyse der Gerichte vertieft. Als der Kellner kurzatmig auf ihren Tisch zusteuert – das Lokal ist voll, Tano muss vorbestellt haben –, nickt sie ihrem Begleiter bestätigend zu und lässt ihn Fischsuppe für die Signora und Sardellen mit Zitrone und Stockfischfrittelle für sich bestellen. Weißwein des Hauses, einen halben Liter Mineralwasser mit Sprudel für Nelly und einen halben Liter ohne für ihn. Der kulinarische Teil ist geklärt. Um Zeit zu schinden, knabbern sie Grissini, seine Hände sind nervös, und er blickt sich um, als wollte er sich jedes Gesicht einprägen. Eine echte Berufskrankheit. Seufzend spielt er mit der Serviette. Nelly hat ihn noch nie so zögerlich gesehen. Sie hat die gespannte Stimmung satt und versucht es mit einem Ablenkungsmanöver.
»Was hältst du von der Pisu-Geschichte? Verbrechen oder Unfall? Und wird das jemals rauskommen, wo doch die Autopsie und die Untersuchungen nichts ergeben haben? Wollte Volponi euch deshalb heute sprechen?« Der Weiße geht runter wie nichts.
»Volponi ist paranoid, der hat wie immer Schiss, dass irgendwelche Informationen zu Fällen durchsickern, die auch
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