Der Fluch vom Valle della Luna
nachgingen – fragen Sie mich nicht welche, aber ein paar Jahre lang hat Giacomo Pisus Baufirma regelrecht gebrummt. Er hatte viel zu tun, auch außerhalb des Dorfes. Dann ...«
Amalia hielt inne. Sie wußte nicht, ob sie fortfahren sollte. Aber im Grunde gab sie nur Dorfklatsch weiter. Nelly ermutigte sie: »Und dann? Was ist dann passiert?«
Die alte Frau seufzte resigniert. »Tja, was ist passiert? Das haben sich alle im Dorf gefragt, und auch in der Stadt, alle, die die Pisus und die Seccis kannten.«
Sie senke die Stimme: »Hören Sie, das, was ich Ihnen da erzähle, bleibt doch unter uns, oder?«
Nelly nickte. »Selbstverständlich.«
»Samuele Pisu war ein windiger Geselle, und es hieß, er habe seinen Freund Leonardo Secci über den Tisch gezogen. Der hat ihm das natürlich übelgenommen. Sehr übel. Und dann ist Samuele durch diesen Unfall ums Leben gekommen. Danach ist alles weitergelaufen, als wäre nichts gewesen, und wer getuschelt hat, hat das hinter verschlossenen Türen getan. Ansonsten hat man sich auf die Zunge gebissen, denn wenn etwas Wahres dran gewesen wäre und bei Samueles Tod wirklich die Seccis die Finger im Spiel gehabt hätten, hätte doch der Sohn bestimmt keine Geschäfte mehr mit den möglichen Mördern seines Vaters gemacht, nicht wahr? Auch wenn ...«, sie zögerte kurz, »auch wenn Samuele Pisu vor seinem Tod wieder mit dem Spielen angefangen und sehr viel öfter verloren als gewonnen hatte, also zu einer echten Bedrohung für beide Familien geworden war. Später haben sich dann auch die Söhne überworfen, Giacomo Pisu und Giosué und Giovannino Secci, allerdings nicht gleich nach Samueles Tod. Erst ein paar Jahre später.«
Nelly schwieg und versuchte, die Informationen zu verarbeiten. Giacomo Pisu war in den Tod des Vaters verwickelt, der zur Bedrohung des Familienvermögens geworden war? Das wird ja immer besser.
»Und Sie haben nicht die leiseste Ahnung, was für Geschäfte das waren, die die Seccis und die Pisus da betrieben?«
»Ich weiß nichts Genaues, nur Andeutungen. Aber sagen Sie mir, Commissario, wie geht es Annina? Wie ist es ihr ergangen?«
Nelly kam nicht umhin, Anna Pisus Leben nach ihrer Ankunft in Genua zusammenzufassen. Aufmerksam und gerührt hörte Amalia zu.
»Also hat sie eine Tochter. Ich dagegen zwei Söhne. Ich hätte mir so sehr eine Tochter gewünscht, sie stehen den Müttern näher«, seufzte sie. »Ist sie schön?«
Nelly sah Sandra mit ihren leuchtenden Augen und sexy Kleidern vor sich, ein Ausbund an Energie.
»Sie ist eine phantastische Frau und eine großartige Journalistin.«
Sie schwiegen eine Weile. Toro hatte sich in einer Ecke zusammengerollt und blinzelte zu ihnen hinüber, als höre er aufmerksam zu. Amalia wirkte traurig, dann lächelte sie. Ein Anflug von Schönheit und Jugend huschte über ihr runzeliges Gesicht.
»Wie aufregend, nach so vielen Jahren von Annina zu hören. Ich habe schon gefürchtet, sie wäre tot, es wäre ihr schlecht ergangen. Aber jetzt kann ich ihr vielleicht schreiben, wenn Sie mir die Adresse des Wohnheimes dalassen. Ich habe ihr so viel zu erzählen.«
»Das mache ich gern.« Nelly kramte einen Block und einen Kuli aus ihrer Tasche, schrieb die Adresse auf und hielt sie der alten Frau hin.
»Signora Amalia ... stimmt es, dass die Pisus im Dorf geächtet wurden, nachdem Giacomo mit der Familie weggegangen war? Dass sogar ihre Namen an der Kirchentür angeschlagen waren?«
Die alte Frau fuhr zusammen. Ihre hellen Augen blickten sie beklommen an. Sie antwortete nicht direkt.
»Das waren andere Zeiten. Das ist so viele Jahre her, es kommt einem vor wie Jahrhunderte. Die Seccis und ihre Freunde waren zweifelsohne reich und mächtig, und zwischen den Familien war etwas vorgefallen, sie hatten sich mit den Pisus verfeindet, und dann ... Hören Sie, Dottoressa, wieso versuchen Sie nicht, mit Boboi Sogos zu reden? Die Sogos waren Hirten, drei Brüder. Der Älteste ist tot, er hieß Gavino. Was mit Panni ist, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass er im Gefängnis saß wegen einer ... schlimmen Geschichte. Aber Boboi ist quicklebendig, hin und wieder kommt er ins Dorf und bringt seinen Käse, seine Ferkel und Lämmer mit.« Ein Zögern liegt in ihrer Stimme. »Aber gehen Sie nicht allein. Und seien Sie vorsichtig. Boboi ist ... wild.«
Mühsam und leicht zitternd erhob sie sich. Das Gespräch war beendet. Nelly verabschiedete sich herzlich von Signora Amalia und dem gar nicht mehr feindseligen Toro und
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