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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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Glanz verloren. Alice war sich sicher, dass die ganze Welt einen Trauerflor trug. Die Bevölkerung der Stadt benahm sich ebenso betroffen wie die Familie. Die Beerdigung war ein denkwürdiges Ereignis gewesen. Unzählige Trauergäste und Blumen kamen auf dem kleinen Friedhof zusammen, sodass der Platz nicht ausreichte und sich die Menschen auf der Straße und der angrenzende Weide zusammendrängten. Mira merkte nur etwas verbittert an, dass keiner von ihnen nach Colonsay zum Leichenschmaus gebeten worden war. Dieses Privileg wurde nur den Gästen aus Melbourne zuteil.
    Alice war nicht dabei gewesen. Sie hatte das nicht gewollt. Für sie war Bertie vor langer Zeit gestorben. Der Junge, der nach Colonsay zurückkehrte, war nicht mehr Bertie gewesen. Jedenfalls nicht mehr der Bertie, den sie geliebt und gekannt hatte. Ihr Freund. Ambrosine war schuld an Berties Tod, nicht der Zug. Sie hatte in ihrer Selbstsucht und Blindheit gegenüber seiner Angst nichts getan, um seine Abreise zu verhindern. Seine Gefühle kümmerten sie nicht.
    Manchmal stieg die Wut wieder in Alice auf, so wie in jener Nacht auf dem Dachboden. Doch nun konnte sie sich besser kontrollieren. Dieses Gefühl gehörte ihr allein. Für ihre Eltern war sie die alte Alice, unverändert, nur ein wenig blass im Gesicht.
    Das wird dir noch leidtun, dachte sie jeden Morgen beim Aufstehen. Dafür werde ich sorgen.
    Und sie wusste auch schon, wie sie das anstellen würde. Nur den richtigen Zeitpunkt, den musste sie noch abwarten.
    ***
    Auf der Autobahn herrschte dichter Verkehr, sie konnten nicht viel miteinander sprechen. Gary konzentrierte sich aufs Autofahren, und Rosamund betrachtete die vorbeiziehende Landschaft.
    Gegen zehn Uhr passierten sie die West Gate Bridge und erreichten das Stadtzentrum. Gary stellte den Wagen im Parkhaus an der Bourke Street ab. Rosamund fühlte sich vom Verkehrslärm und der dichten, vorwärtsdrängenden Menschenmenge wie betäubt. Sie war zwar nur relativ kurze Zeit in Colonsay gewesen, hatte sich aber an die ruhigere Gangart und ein Leben ohne Zeitnot gewöhnt. Der Wunsch, mit allem und jedem mithalten zu können, war in ihr erloschen.
    »Ich muss mich mit ein paar Leuten treffen«, hatte Gary ihr erzählt. Sie würden sich trennen und dann gegen vier wieder treffen. Das ließ ihr genügend Zeit für die Nationalgalerie und das Porträt von Mr Marling.
    »Markovic Hoch- und Tiefbau befindet sich dort die Straße runter.« Gary sagte das, als sie gerade die Straße bei einer Fußgängerampel überquerten.
    Rosamund reagierte nicht.
    »Vielleicht möchtest du ja deinen Mann besuchen.«
    »Mark besuchen?« Machte er Witze oder wollte er ihre Gefühle auf die Probe stellen? »Nein, das möchte ich nicht.«
    Er sah sie von der Seite an. Ihr Gesicht gab nichts preis. Sie würde nicht über Mark mit ihm reden, nicht jetzt, nicht einmal nach der vergangenen Nacht.
    »Okay, das war blöd von mir. Ich wollte dich nicht …«
    Sie standen vor einer Buchhandlung. Er betrachtete die Auslage, ohne sie wirklich wahrzunehmen. In Anzug und Krawatte wirkte er auf sie wie ein Fremder. Rosamund wusste, dass sie in ihrem dunklem Kostüm für ihn genauso aussehen musste. Komisch, kaum hatten sie Colonsay verlassen, waren sie sich fremd. Bekam sie kalte Füße? Oder er? Verstohlen musterten sie gegenseitig ihre Spiegelbilder in der Fensterscheibe.
    »Glaubst du, dass eines Tages da deine Bücher liegen werden?«, versuchte sie die Atmosphäre etwas aufzulockern. »Gary Munros neuester Bestseller?«
    »Na klar.« Er brachte ein schiefes Lächeln zustande, doch seine Augen blieben ernst. Rosamund konnte kaum glauben, dass sie die letzte Nacht mit diesem Mann in einem Bett verbracht, mit ihm geschlafen hatte. Heute war er ihr fremd.
    »Wovon handelt dein Buch?«
    »Von Leben und Tod, vom Kampf um die Macht. Das Übliche eben.«
    Wieder herrschte unbehagliches Schweigen.
    »Ich bin um vier wieder hier«, sagte Gary dann.
    »Okay.«
    Er zögerte.
    »Danke für die vergangene Nacht«, sagte sie schnell, bevor der Mut sie verließ. »Ich meine das Singen – und dass ich dir genug bedeute, dass du mich dazu gebracht hast.
    »Ja, du bedeutest mir etwas.« Jetzt lächelte Gary richtig, und sofort blitzte sein gewohnt entspannter Charakter wieder auf. »Du bedeutest mir sogar sehr viel.«
    »Du bedeutest mir auch viel.«
    Sie lächelten einander im Fenster zu wie zwei Schwachsinnige. Dann beugte er sich zu ihr hinüber, küsste sie schnell auf ihre sorgfältig

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