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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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Museumsführer mit. Die Ausstellungsräume der australischen Maler befanden sich hinter dem Museumsshop im Erdgeschoss und gingen ineinander über. Einige der Gemälde waren Rosamund vertraut: Roberts, Streeton, McCubbin. Konventionelle Bilder aus der Zeit King Edwards und Queen Victorias. Heute schenkte ihnen Rosamund wenig Aufmerksamkeit. Der Ausstellungsteil, den sie suchte, befand sich im Herzen der Australienabteilung und zeigte die Gemälde von Henry Marling.
    Sie sah es sofort, als sie den Raum betrat. Eine riesige dunkle Leinwand, aus der die zentrale Figur leuchtend und hell hervortrat. Ambrosine Cunningham, wie sie leibte und lebte, farbig ins Bild gerückt.
    Rosamund näherte sich dem Porträt langsam und blieb direkt davor stehen. Sie fühlte sich mit einem Mal der Wirklichkeit entrückt. Ambrosine saß, beugte sich aber aus der Hüfte nach vorn, sodass es aussah, als befände sie sich mit dem Betrachter im vertraulichen Gespräch. Der helle, durchscheinende Stoff ihrer Bluse enthüllte mehr, als er verdeckte. Ihre geteilten Lippen waren feucht und sinnlich. Ihr dunkles Haar türmte sich kunstvoll auf ihrem Kopf, feine Locken umrahmten ihr weiches, schimmerndes Gesicht.
    Es waren aber vor allem die Augen, die Rosamund in ihren Bann zogen. Sie blickten tief in ihre Seele, suchten zu verstehen. Der Ausdruck war ungeheuer vielschichtig. Rosamund trat näher an das Bild heran. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob Wärme oder Hochmut am meisten hervorstach. Freude oder Trauer. Stolz oder Feingefühl. Und dann wurde ihr zu ihrer Überraschung mit einem Mal alles klar. Es war nichts davon. Ambrosine flehte um Hilfe.
    Hilf mir. Ich bin gefangen. Ich habe Angst.
    Die Worte zogen als Flüstern durch Rosamunds Sinn.
    Als ihre Wirkung nachließ, nahm Rosamund die Einzelheiten des Gemäldes wahr. Die große Ähnlichkeit von Ambrosines Gesichtsform und Nase mit Adas. Rosamunds Vater fand sich in ihren Augen und ihrer Haarfarbe. Und natürlich auch Züge von Rosamund selbst.
    »Es ist einfach umwerfend, oder?«
    Rosamund erschrak und drehte sich um. Ein Mann mittleren Alters stand neben ihr. Sie verspürte das hungrige Lauern des Einzelgängers auf ein Gespräch, rang sich ein Lächeln ab.
    »Ja, wirklich sehr schön.«
    »Meine Frau hielt es immer für Marlings Meisterwerk. Wir sind oft zusammen hier gewesen. Jetzt komme ich allein.« Er räusperte sich und deutete auf das Porträt. »Meiner Meinung nach wurde er trotz des Gemäldes von der konstituierenden Sitzung des ersten Staatenbundparlaments, das in Canberra hängt, immer unterschätzt. Leider.«
    »Ah ja.«
    »Gegen Ende seines Lebens hat er ein paar verrückte Sachen gemacht. War Zeuge eines schlimmen Unfalls und wurde zum Trinker.«
    Rosamund setzte einen passenden Gesichtsausdruck auf und war erleichtert, als der Mann endlich weiterging. Sie wandte sich wieder dem Porträt zu und bemerkte die Messingplakette an der Wand daneben: »Ambrosine, Ehefrau von Cosmo Cunningham, 1872–1901. Gemalt in den Jahren 1900–1901 von Henry Marling, australischer Künstler. Gestiftet 1930 von Mrs Ada Evans.«
    Das zu lesen überraschte Rosamund. Sie wusste nicht, dass dieses Porträt je in Colonsay gehangen hatte. Nun wurde ihr klar, dass das eigentlich selbstverständlich war. Cosmo musste es in Auftrag gegeben haben, das Bild seiner geliebten und wunderschönen jungen Ehefrau. Und Ambrosine hatte ihre Pflicht erfüllt und für den Maler Modell gesessen.
    Was mochte damals geschehen sein, das ihn dazu brachte, zuerst sie und dann sich selbst umzubringen?
    Hätte Rosamund noch an der Mord-Selbstmord-Theorie gezweifelt – dieses Porträt hätte sie überzeugt. Ambrosine war von einer tragischen Aura umgeben. Ihre Lippen waren nicht nur verführerisch, sondern drückten auch Verzweiflung aus. In den Tiefen ihrer dunklen Augen stand Besorgnis. Sie machte fast den Eindruck, als gäbe es keine Freude in ihrem Leben.
    Mit einer gewissen Anstrengung wandte Rosamund der anziehenden Ambrosine den Rücken zu. Porträts waren Marlings Spezialität gewesen. Die Sammlung zeigte noch ein paar andere, die allerdings an das von Ambrosine nicht heranreichten. Rosamund sah sie sich alle an, bewunderte Farbwahl und Pinselführung.
    Außerdem entdeckte sie ein Bild von einer Menschengruppe beim Picknick am Wasser. Rosamund glaubte eine Stelle auf der Bellarine-Halbinsel wiederzuerkennen. Sie ging zu Ambrosine zurück und betrachtete das Gemälde noch einmal ausgiebig.
    Das Porträt war nicht

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