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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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ihre Erinnerungen an den Fremden im dämmrigen Garten hätten diesen zurückgebracht. Doch gleich darauf erkannte sie ihr eigenes Spiegelbild. Aber das war es nicht. Da stand ein merkwürdiges Mädchen mitten im Zimmer und blickte sie an. Ein Mädchen mit glattem braunem Haar, braunen Augen und blasser Haut. Es trug ein Kleid mit Stehkragen, das bis oben hin zugeknöpft war.
    Der unerwartete Anblick ließ Rosamund förmlich erstarren; dann schoss ihr das Adrenalin durch die Adern. Sie wandte sich ab und sprang durch die Hintertür förmlich in die Küche hinein. Kerry blickte verwirrt auf. Weiße Soße tropfte vom Kochlöffel auf den Boden, während sie Rosamund zusah, wie diese durch die Küche in die Eingangshalle rannte.
    Es war das Zimmer ganz hinten links. Rosamund hatte es innerhalb von Sekunden erreicht. Ihre feuchte Hand drehte den Messingknopf an der Tür und öffnete sie, bevor sie darüber nachdenken konnte, was sie da tat. Mit einem lauten Quietschen öffnete sich die Tür; sie drückte sie ganz auf und blickte in das dämmrige Zimmer.
    Der Staub, den sie aufgewirbelt hatte, tanzte in den Lichtstrahlen, die durchs Fenster fielen. Das Zimmer wirkte wie auf einem alten sepiafarbenen Foto. Eine eisige Kälte durchdrang alles. Es standen ein paar Möbelstücke, Schachteln, alte Zeitschriften und Zeitungen sowie eine Schneiderpuppe mit einem mottenzerfressenen Fuchsschwanz um den Hals herum. Nichts Lebendiges war zu sehen, kein Mädchen mit braunem Haar und Stehkragenkleid. Warum wunderte sie das nicht?
    »Rosamund?« Kerrys Stimme ließ sie herumfahren. Sie stand in ihrer Kittelschürze in der Tür. Die Augen sahen in ihrem bleichen Gesicht riesig aus. »Was ist passiert?«
    Rosamund antwortete nicht. Sie machte einen Schritt ins Zimmer – zu mehr schien sie nicht fähig. Der Boden war komplett mit den Hinterlassenschaften der Cunningham-Ära bedeckt, und vor den Wänden stapelten sich unterschiedlichste Dinge zum Teil bis zur Decke. Es wäre unmöglich für eine Person gewesen, dort zu stehen und aus dem Fenster zu schauen. Plötzlich wurde ihr übel, und sie hielt sich die Hand vor den Mund. Sie suchte krampfhaft nach einer plausiblen Erklärung, um Zeit zu gewinnen.
    »Was ist passiert?«, fragte Kerry zum zweiten Mal. Rosamund spürte ihren warmen Atem an ihrer Schulter.
    »Ich dachte, ich hätte durchs Fenster etwas gesehen.«
    Kerry stockte der Atem. Sie reckte sich, um an Rosamund vorbei ins Zimmer zu schauen. »Was haben Sie gesehen?«, flüsterte sie.
    »Eine Ratte.«
    Die beiden Wörter verklangen, und Rosamund verspürte eine Art makabrer Freude über Kerrys schnellen Rückzug. »Huch! Machen Sie bloß die Tür zu, damit sie nicht rausschlüpft«, japste sie. »Ich werde gleich morgen Gift besorgen.«
    »Gute Idee.« Rosamund bewegte sich Richtung Tür und blieb auf einmal stehen. Da war etwas gewesen. Sie griff nach oben, streckte sich zum oberen Rand eines Zeitungsstapels und schloss ihre Hand um etwas Kleines, das darauf lag. Es fühlte sich warm an, fast lebendig. Kerry starrte mit ihr auf ihre Handfläche.
    »Ist vielleicht aus einer der Schachteln herausgerutscht«, mutmaßte Kerry. »Ein ziemlich ungewöhnlicher Knopf, finde ich.«
    Rosamund schwieg und fuhr mit ihrem schmutzigen Daumen über die abgegriffene Oberfläche. Die Elfenbeinfarbe erinnerte an alte Zeitungen. Sie war wohl einst mit Schnitzereien verziert gewesen, die Alter und Gebrauch jedoch fast völlig eingeebnet hatten.
    »Wir könnten ihn säubern«, fuhr Kerry fort.
    Rosamund nickte und steckte den Knopf in ihre Tasche. »Vielleicht später. Ich bin am Verhungern.« Sie schloss die Tür fest hinter sich und folgte der anderen Frau Richtung Eingangshalle.
    Oben in ihrem Schlafzimmer wusch sich Rosamund und zog bequeme Hosen und eine Seidenbluse an. Vor dem Fenster stehend, bürstete sie sich die Haare. Die Übelkeit war weg, sie fühlte sich nur noch müde. Wer auch immer das Mädchen gewesen war – es schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Aber das Gesicht hatte sich Rosamund eingeprägt und würde sie bis in ihre Träume verfolgen. Glatt und bleich und geheimnisvoll, umrahmt von langem Haar und mit einem runden Kinderkinn. Es hatte sich angefühlt, als würde sie einen lebendigen Menschen sehen, kein altes Foto. Einen Menschen, der auch sie ansah und sie einzuschätzen versuchte.
    Taten Geister so etwas?
    Die Frage schockierte Rosamund. Warum ging sie davon aus, dass sie einen Geist gesehen hatte? Warum zog sie keine

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