Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
Vom Netzwerk:
draußen die Dunkelheit herabgesenkt hatte. Sie lehnte sich ans Fensterbrett und nahm einen Schluck aus der Flasche. Das Gesicht kam ihr in den Sinn, doch sie schob es weg. Geist, Einbildung, Sinnestäuschung oder Lichtspiegelung – was auch immer. Sie würde sich nicht weiter darum kümmern. Der Wein tat seine Wirkung. Sie konnte schlafen gehen, der Alkohol würde für eine traumlose Nacht sorgen.
    Rosamund schlüpfte aus ihren Kleidern. Sie lag bereits unter der Decke, als sie merkte, dass sie noch BH und Höschen trug. Rasch zerrte sie sich die Wäsche vom Leib und warf sie auf den Fußboden. Die Laken fühlten sich kühl an auf der nackten Haut. Mit geschlossenen Augen strich sie über ihren Körper, stellte sich vor, die Hände gehörten Mark.
    Wo war er gerade? Dachte er an sie? Vielleicht vermisste er sie gar nicht und sorgte sich nur, dass sie zu viel trinken und Scherereien verursachen würde. Ohne sie wäre er besser dran.
    Warum nur, fragte sich Rosamund benebelt, warum tat dieser Gedanke so weh?
    Sie ließ sich in die dunkle Umarmung des Unbewussten sinken, und auf einmal fand sie sich zwischen Tag und Traum gefangen, in einer Zwischenwelt. Sie war nicht mehr in ihrem Bett in Colonsay. Der Ort, an dem sie sich aufhielt, war stockdunkel und eng. Sie konnte das spüren, ohne einen Finger zu regen. Gefangen in einer dumpfen Starre, registrierte sie ihre Umgebung mit erhöhter Aufmerksamkeit. Um sie herum waberte ein schwerer Duft, ein Gemisch aus Geißblatt, Sägespänen, Firnis und Rosen. Weißen Rosen.
    Sie lag in einem Sarg. Tot. Sie war Ambrosine Cunningham.
    ***
    Sie verstehen rein gar nichts, hatte Bertie geschrieben. Im Gegensatz zu Dir. Aber warum denn nicht? Ich bin nicht wie die anderen. Ich weiß, dass sich Menschen nicht unterscheiden wie Muscheln, aber wenn doch, was für eine Muschel wäre ich dann? Eine kleine blasse Sandmuschel vielleicht, die niemand wirklich wahrnimmt. Mein Vater wäre ein großes schweres Exemplar, vielleicht eine Helmschnecke, vom Sturm aus der tiefen See an den Strand gespült. Und meine Mutter wäre eine rosa Trogmuschel, glatt und wunderschön, von der Farbe des ersten Morgenlichts über dem Strand. Und Du, Alice, Du wärst sicher keine Muschel. Du wärst eine kleine Strandkrabbe, die zwischen den Felsen im Sand hin- und herrennt, ein Auge auf uns Muscheln gerichtet und eines zum Himmel nach den hungrigen Möwen.
    Vater schreibt, dass er mich mit Mutter besuchen wird. Am 1. Mai, wenn sie zur ersten Sitzung des Parlaments nach Melbourne kommen. Und anschließend werde ich sie nach Colonsay begleiten und dort bleiben, bis die Schule wieder beginnt. Wie werde ich das nur so lange hier aushalten? Fünf Wochen. Fünfunddreißig Tage und Nächte. Ich hatte Mutter gebeten, mir mein Vogelbestimmungsbuch zu schicken, doch sie sagte, sie könnte es in meinem Zimmer nicht finden. Vielleicht habe ich es in meinem Geheimversteck gelassen. Kannst Du es dort holen, Alice, und ihr geben? Ich möchte nicht, dass sie dort hinaufgeht. Das ist allein mein Platz, unser Platz.
    ***
    Am nächsten Vormittag befreite Rosamund ungefähr drei Quadratmeter Garten von Unkraut. In ihrem Kopf hämmerte es, und sie hatte einen sauren Geschmack im Mund, doch sie arbeitete ohne Rücksicht auf ihr Befinden unter dem blauen Himmel in der warmen Sonne. Sie war betrunken gewesen und hatte beschlossen, ihren Albtraum einfach zu vergessen: die entsetzliche Furcht, als sie feststellte, wo sie sich befand. Das traumlos dunkle Vergessen des Schlafs, der sie schließlich rettete.
    Ein Pick-up rumpelte hinter den Kiefern über die Straße, und Rosamund drehte sich nach dem Geräusch um. Eine plötzliche Unruhe hatte sie überfallen, als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte. Sie riss sich zusammen. Nach dem Aufstehen hatte sie zuallererst ihre verschmutzten Kleider vom Boden aufgesammelt und Kerry zum Waschen gegeben. Dabei war ihr der Knopf wieder eingefallen, und sie hatte die Taschen danach durchsucht. Ohne Erfolg. Er war weg.
    »Verloren gegangen«, brummelte sie. Sie hatte ihn irgendwo fallen lassen, und er würde sicher wieder auftauchen. Die innere Unruhe verstärkte sich, und sie musste richtiggehend dagegen ankämpfen.
    Sie betrachtete den riesigen Jasminstrauch am Zaun, seine sanft nach unten hängenden Zweige, die jetzt nicht mehr vom Unkraut bedrängt wurden und aussahen wie das herabhängende lange Haar einer Frau. Im Frühjahr würden die weißen Blüten bestimmt betäubend duften. Ein Sitzplatz

Weitere Kostenlose Bücher