Der Fluch von Colonsay
Gerüst bedeckte den gesamten Westflügel mit seinem Zickzackmuster aus Metallrohren. Die Arbeiter hatten sich um Rae versammelt, die zusammengekauert auf einem Brett saß und sich behutsam einen Arm hielt. Sie sah geschockt aus und war ganz weiß im Gesicht. Gary, der über sie gebeugt stand, sah Rosamund, sagte kurz etwas zu den anderen und kam zu ihr herüber. Der Schweiß hinterließ helle Streifen in dem Staub auf seinem Gesicht, und sein T-Shirt hatte einen neuen Riss.
»Ruft Kerry im Krankenhaus an?«
»Ja. Braucht ihr Hilfe?«
»Nein. Wir fahren mit dem Wagen bis hierher und setzen sie direkt hinein. Das geht schneller.«
»Ist es sehr schlimm?«
»So viel ich sehen konnte, ist es ein glatter Bruch. Der Doktor wird Genaueres sagen können.«
»Wie ist …?« Sein Gesichtsausdruck brachte sie zum Schweigen.
»Ich vermute, sie ist ausgerutscht«, sagte er ruhig. »Obwohl sie behauptet, das würde nicht stimmen. Sie sagt, sie weiß nicht, wie es passiert ist. Im Moment steht sie natürlich unter Schock.«
»Und du glaubst …?«
Gary schüttelte nur den Kopf. »Ich war ganz oben, in einem der Zimmer, und sah sie vom Fenster aus. Sie schrie auf und stürzte. Es gab keinen Grund dafür, jedenfalls keinen, den ich erkennen konnte.«
Was soll das heißen?, wollte sie ihm ins Gesicht schreien. Was willst du mir damit sagen? Aber das war nicht der richtige Zeitpunkt für solche Fragen, und sie wollte die Antworten eigentlich auch nicht hören.
»Mrs Markovic.« Frederick Swann gesellte sich zu ihnen. Er machte sich offensichtlich Sorgen. »Rae hat viel Glück gehabt.«
»Ja. Dem Himmel sei Dank dafür.«
Er lächelte. »Genau.«
Als sie weggefahren waren, kam ihr das Haus sehr still vor. Frederick hatte den Strom wieder angestellt, und Kerry bereitete das Abendessen zu. Rosamund hatte keine Lust, wieder ins Hinterzimmer zu gehen. Die Schatten waren bereits lang, und sie musste dauernd an Ambrosines Beerdigungszug denken, der sich langsam Richtung Friedhof bewegte. An die Pferde mit den schwarzen Überwürfen und Federbüschen, an den Kutscher im schwarzen Gehrock und mit Zylinder. An die düstere Stimmung unter dem dunklen Himmel. Rosamund schüttelte sich und ging nach oben, um ein Bad zu nehmen.
Die Cunninghams hatten viele Todesfälle gehabt. Natürlich mussten alle einmal sterben, aber von ihnen waren viele vor ihrer Zeit gegangen. Als ob sie mit einem Fluch belegt worden wären – oh, das war nun wirklich Unsinn! Rosamund sank tiefer ins lauwarme Wasser. Die Zeit war zu kurz gewesen, es anständig aufzuheizen. Der Moschusduft ihres Badezusatzes stieg ihr in die Nase. Sie dachte an Mark und seufzte. Sein Besuch hat in keiner Weise zur Klärung der Dinge beigetragen.
Er wird mich verlassen. Sie ließ den Gedanken einsickern, langsam, prüfend. Vor noch gar nicht so langer Zeit hätte sie Angst gehabt vor der Vorstellung, ohne ihn leben zu müssen. Doch seit sie nach Colonsay gekommen war, hatten sich die Dinge geändert. Das Haus gab ihrem Leben einen Sinn, der vorher offensichtlich gefehlt hatte.
Rosamund starrte auf ihre weißen, runzeligen Zehen, die aus dem Wasser ragten. Zeit, dass sie rauskam. Im Bad war es dunkel geworden, während sie ihren Gedanken nachhing, und das Deckenlicht war so spärlich, dass es kaum in die Ecken drang. Die Luft fühlte sich kalt an. Hastig stand Rosamund auf und griff nach dem Handtuch. Das Wasser war nicht heiß genug gewesen, um den Spiegel beschlagen zu lassen. Sie blickte auf ihr nacktes Ebenbild.
Aber das war nicht sie.
Eine fremde Frau starrte ihr aus dem Spiegel entgegen. Ihr graziler Körper überlagerte Rosamunds kräftigeren, ihre aufgerissenen Augen starrten sie aus dem Gesicht einer Fremden an, die ihr gleichzeitig erschreckend vertraut vorkam. Rosamund schrie erstickt auf – und alles war vorbei. Sie blickte auf ihren Körper, ihre dunklen, feuchten Locken. Das Wasser rann an ihr herunter, und ihr Gesicht sah totenblass aus.
Irgendwie brachte es Rosamund trotz ihrer zitternden Hände fertig, sich anzuziehen und das Bad zu verlassen. In ihrem Zimmer fiel sie aufs Bett. Ihre Beine verweigerten den Dienst.
»Es wird schlimmer«, sagte sie zu sich selbst.
Die Frau im Spiegel war lebendig gewesen, warm und verletzlich. Keine steife Pose aus einem Fotoalbum. Und Rosamund hatte sie erkannt: Ambrosine Cunningham, Cosmos wunderschöne und rätselhafte Frau.
Sie war keine Geistererscheinung gewesen, auch kein lebendiger Geist wie das braunhaarige
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