Der Fluch von Colonsay
gegeben. Etwas war in diesem Zimmer gewesen. Rosamund lehnte sich gegen den Türstock und dachte nach.
Wenn ein streunender Hund sich hier herumtrieb, wie kam er herein und hinaus? Wie er überleben konnte, hatte sich ja geklärt – mit Hilfe von Rae und ihrer Gutmütigkeit. Und es gab ohne Zweifel Stellen unter den Bodendielen, durch die ein kleines Tier sich zwängen und vor den Unbilden des Wetters in Sicherheit bringen konnte. Tja, nun würde es wahrscheinlich eingefangen werden. Von Rae oder jemand anderem.
So war wenigstens eine Frage geklärt, dachte Rosamund. Sie fuhr mit den Sohlen ihrer Schuhe über die Spuren, verwischte sie. Kaum waren sie verschwunden, ließ sie sich mit einem Aufseufzen auf das Sofa fallen und griff nach einem Stapel Zeitungen und Zeitschriften, die sie noch nicht durchgesehen hatte. Sie blätterte die oberste durch, eine Frauenzeitschrift aus den 1940ern. Die grobkörnigen Abbildungen und die tröstlichen Artikel darüber, wie man mit weniger zurechtkommen konnte, hatten eine beruhigende Wirkung auf ihr Nervenkostüm. Ganz versunken in einer überhaupt nicht bedrohlichen Vergangenheit, schreckte sie hoch, als hinter dem Haus ein Motor losdröhnte. Rosamund ging zum Fenster – das war jetzt möglich – und blickte hinaus.
Ein Mann mit einer Motorsense schnitt die Ranken und Büsche bei dem kleinen Häuschen weg, wo ihn die Boxdornhecke nicht daran hinderte. Eine grüne Wolke aus Vegetationsresten und Samenkapseln stob in die Luft.
Rosamund wandte sich wieder ihrer eigenen Arbeit zu.
Einige Zettel waren in ein altes Rezeptbuch gesteckt worden. In eines dieser schlichten Notizbücher, die Rosamund immer an beleibte fröhliche Köche zu Zeiten Queen Victorias denken ließen, die dort ihre mühsam erworbenen Küchenweisheiten verewigten. Es handelte sich um Zeitungsausschnitte, vergilbt und an den Faltstellen schon brüchig, was es schwierig machte, sie zu lesen. Rosamund beugte sich dicht darüber; ihre Finger folgten den Zeilen, die sie entzifferte: »… ein wirklich herzzerreißender Anblick … der Sarg bedeckt von weißen, duftenden Blüten auf einem Wagen mit gläsernen Seitenwänden … die Pferde mit ihrem schwarzen Federschmuck in würdevollem Schritt … die bedrückten Trauergäste unter tief hängenden, dunklen Regenwolken …« Ein Bericht über Ambrosine Cunninghams Beerdigung. Rosamund fühlte, wie es ihr eng in der Brust wurde. Die Wörter verschwammen vor ihren Augen. Ein unwirkliches Gefühl legte sich über sie. Als ob sie träumen und jeden Augenblick aufwachen würde.
Ein größerer Ausschnitt beschäftigte sich mit Cosmos Staatsbegräbnis, den gedämpften Trommelwirbeln und den Würdenträgern, der öffentlichen Trauer um einen großen Staatsmann. Aber irgendwie berührte die Beschreibung Rosamund weniger als die von Ambrosines einfacher Zeremonie.
Unter den beiden Artikeln lag ein Bericht aus viel neuerer Zeit, aus einer Wochenendzeitschrift und mit Fotos. Er beschäftigte sich mit dem Leben eines gewissen Henry Marling. Das war ein Porträtmaler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts gewesen. Es gab eine große Reproduktion seines Gemäldes von der konstituierenden Sitzung des Parlaments im Mai 1901. Ein kleineres Schwarzweißfoto zeigte Mr Marling selbst, einen gut aussehenden Gentleman mit blondem Haar und einem sorgfältig hochgezwirbelten Schnurrbart.
Rosamund, die von ihm schon gehört hatte, fand den Artikel interessant. Aber so viel sie sehen konnte, betraf er ihre Familie nur insofern, dass Mr Marling durch seine Malerei die Cunninghams vielleicht oberflächlich gekannt haben mochte.
Draußen geriet die Motorsense ins Stottern, spotzte noch ein paarmal und stellte den Betrieb ein. Die Stille wurde jedoch sofort durch lautes Rufen gestört. Füße trampelten die Treppe herunter. Die dringliche Betriebsamkeit schreckte Rosamund auf. Sie wischte die Ausschnitte beiseite und rannte hinaus.
»… Arm gebrochen.« Die Stimme kam aus der Küche. Kerry rannte durch den Flur zum Telefon.
»Was ist passiert?«
»Eine Mitarbeiterin von Fred ist gestürzt und hat sich den Arm gebrochen«, war die erschütterte Antwort. »Rae Gibbons. Ich rufe das Krankenhaus an.«
»Geht es ihr gut?« Rosamund war klar, wie dämlich sich ihre Frage anhören musste.
»Vom Arm abgesehen schon. Sie ist ziemlich tief gefallen, offensichtlich auf dem Gerüst ausgerutscht. Hat Glück gehabt.«
Rosamund ging nach draußen, damit Kerry ihren Anruf machen konnte. Das
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