Der Fluch von Colonsay
Liegeplatz fest. Rosamund half Gary in freundschaftlichem Schweigen beim Aufräumen. Es gab im Augenblick nichts zu sagen. Colonsay wäre immer noch da, wenn sie nach Hause käme. Früh genug, sich dann Gedanken über das weitere Vorgehen zu machen.
»Danke«, sagte sie und sah ihm ins Gesicht.
Gary lächelte fragend. »Danke wofür?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Einfach so.«
»Gehen wir noch was trinken, bevor wir heimfahren?«
Rosamund wollte schon zustimmen, als ein plötzlicher Gedanke sie davon abhielt. Sie waren ziemlich lange draußen gewesen, und Kerry würde auf sie warten.
»Ich muss zurück. Ich hoffe, es macht dir nichts aus?«
Schulterzucken seinerseits.
Sie gingen zusammen über die Holzplanken des Bootsstegs zum Parkplatz. Rosamund wehrte sich nicht, als Gary ihre Hand nahm.
***
Die Dunkelheit brach herein. Gary brachte den Wagen zum Stehen und starrte auf Colonsay, das direkt vor ihnen lag.
Es ist ein Haus, nur ein Haus, rief sich Rosamund in Erinnerung. Wovor sollte ich Angst haben?
Aber mit jedem Meter, den sie auf dem Heimweg zurückgelegt hatten, war ihre Stimmung gesunken. Es schien fast, als hätte es diesen unbeschwerten Nachmittag nie gegeben.
Der Regen hatte eingesetzt, als sie in die Einfahrt eingebogen waren. Rosamund blickte auf den Umriss der Säule auf Cosmo Cunninghams Gedenkstätte. Ein dunkelroter Schatten zog ihren Blick auf sich, verlor sich aber sofort wieder zwischen den dunklen Steinen.
Vielleicht der Alte von der Historischen Gesellschaft? Was für ein Nachmittag für Pflegearbeiten. Nun, vermutlich nahmen manche ihre Aufgaben ernster als andere.
Der Regen trommelte auf die Windschutzscheibe und verwandelte Colonsay vor ihren Augen in ein verschwommenes Aquarellgemälde aus Grau- und Brauntönen. Nur oben, wo die Dachfenster den Himmel widerspiegelten, blitzte ein Schimmer von Silber.
»Es brennt kein Licht!«
Gary war schon aus dem Wagen gestürzt, bevor Rosamund überhaupt begriff, was er gesagt hatte. Der düstere Nachmittag ging allmählich in den Abend über. Warum waren die Fenster dunkel?
Bis Rosamund ihn erreichte, stand Gary bereits vor der Eingangstür. Sogar im schwindenden Licht konnte sie deutlich erkennen, dass seine Hautfarbe einen grünlichen Ton angenommen hatte. Es sah so aus, als müsste er sich gleich übergeben.
»Geh rein«, sagte er. »Ich komme gleich nach.«
Die Tür war offen. Rosamund betrat die Vorhalle und blickte in undurchdringliche Finsternis. Aus Richtung der Küche hörte sie den brummenden Kühlschrank, sonst war es vollkommen ruhig. Sie knipste das Licht an.
»Kerry?«
Totenstille. Sie ging zur Küche hinüber und steckte den Kopf durch die Tür – leer. Nur ein Teller und ein Becher standen im Ausguss. Alles sah unberührt aus, dabei wollte Kerry um diese Zeit schon längst mit den Vorbereitungen fürs Abendessen begonnen haben.
Rosamund rannte nach oben. Kerrys Zimmer war leer, das Bettzeug leicht zerdrückt. Ein Buch lag auf der Tagesdecke und kündete in grellen Farben von Kerrys Literaturgeschmack: Kerry las heimlich Liebesromane. Das fand Rosamund ein wenig überraschend.
»Kerry, wo bist du?«
Die gedämpfte Antwort hörte sich an wie aus dem Innern einer verschlossenen Truhe. Es war, als ob Colonsays Wände sie einfach verschluckt hätten. Bizarre Bilder schossen Rosamund durch den Kopf: Kerry in eine Wandnische gedrängt, Gesicht und Handflächen gegen Stein und Mörtel gepresst, der Mund weit aufgerissen.
»Hör auf damit«, befahl sie sich selbst. Sie hätten sie nie allein lassen dürfen. Vom Treppenabsatz rief sie erneut. Die Antwort erfolgte immer noch gedämpft, hörte sich aber näher an.
»Hier«, rief Gary, als sie die Treppe heruntergepoltert kam. Er stand vor der Kellertür, sah zwar noch krank aus, aber auch fest entschlossen. »Sie ist da unten. Die Tür ist abgeschlossen. Hast du den Schlüssel?«
»Es gibt keinen Schlüssel«, antwortete sie überrascht, langte an ihm vorbei und drehte am Türknauf. Die Tür sprang sofort auf. Sie sah Gary an.
»Sie war abgeschlossen. Bestimmt«, sagte er dumpf.
Rosamund trat auf den Kellerabsatz. »Kerry?« Ihre Stimme bemühte sich, mutig zu klingen. »Kerry?« Sie betätigte den Lichtschalter, eine Glühbirne flammte auf und erleuchtete den Kellerraum. Der Geruch von feuchter Erde stieg auf. Kerry war am Fuß der hölzernen Stiege zusammengesackt, Knie an die Brust gezogen, die Arme über dem Kopf verschränkt.
Sofort war Rosamund bei ihr.
Weitere Kostenlose Bücher