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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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er ein kleiner Junge. Alice zuckte zusammen, aber Bertie schien das nichts auszumachen. Er lächelte noch einmal und ging einfach seiner Wege. Das machte er immer so, seitdem er zurückgekehrt war. Er lächelte, beantwortete Fragen und tat alles, was andere von ihm verlangten. Doch das, was ihn ausmachte, schien irgendwie abwesend oder verschwunden zu sein. Es war, als hätte er einen schmerzlichen Verlust erlitten und sich von der Welt zurückgezogen.
    »Warum bekomme ich keine?« Adas kleines Gesicht verzog sich wütend.
    Mrs Gibbons lachte und zauberte noch ein paar Bonbons hervor. »Da, mein Püppchen«, säuselte sie. »Wie sagt man?«
    »Das sind zu wenige«, war Adas Antwort.
    Die Köchin schien das lustig zu finden, ihr Lachen wurde noch lauter. Ada zog Alice eine Grimasse und rannte zur Hintertür hinaus, quer über den Hof, zu den Ställen.
    »Die ist mit allen Wassern gewaschen«, seufzte Mrs Gibbons und wischte sich die feuchten Augen. »Mit der werden wir unsere liebe Not haben, wenn sie erwachsen wird.«
    Alice verkniff sich eine Antwort und beugte sich über ihre Arbeit. Was sie von Ada Cunningham hielt, behielt sie lieber für sich, das ging keinen etwas an.
    »Hast du in eine Zitrone gebissen, Alice Parkin, oder warum guckst du so sauertöpfisch?«, wollte die Köchin prompt wissen.
    »Ich dachte gerade, dass manche anscheinend keine Bedenken haben, nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein, Mrs Gibbons.« Die Worte strömten flüssig von Alice’ Lippen. Eine Woche hatte sie geübt, aber nicht wirklich angenommen, dass sie es wirklich sagen würde. Aber nun war es geschehen.
    Mrs Gibbons Augen verengten sich zu Schlitzen. »Du sprichst doch wohl nicht von Miss Ada, Alice?«
    »Nein. Ich hatte eher Bedienstete im Sinn, die das Vertrauen ihrer Arbeitgeber ausnutzen oder, genauer noch, missbrauchen.«
    Die Köchin war auf einmal ganz Ohr. Mrs Gibbons rückte näher, bis sie direkt über Alice aufragte und ihr dunkler knisternder Rock ihren Arm berührte. Sie roch nach Zwiebeln, doch darunter lag der starke Kräuterduft ihres Spezialmittels. Je mehr Mrs Gibbons davon trank, desto unsicherer wurde ihr Schritt. Aber noch war es früh am Tag, und sie schien keine Probleme mit ihrem Gleichgewicht zu haben.
    »Das Vertrauen missbrauchen?«, wiederholte sie. »Was willst du damit sagen, Mädchen? Worum geht es?«
    »Um Dienstboten, die ihre Freunde ins Haus bitten und mit ihnen dort essen, trinken und tanzen.« Sie machte eine Pause und sah zu Mrs Gibbons hoch. Diese wirkte wie zu Eis erstarrt. »Natürlich nur, wenn die Herrschaft nicht zu Hause ist. Ich bin mir sicher, das ist nicht recht. Was meinen Sie, Mrs Gibbons? Was würde wohl Mrs Cunningham zu so einer Bediensteten sagen? Wie würde sie sich fühlen, wenn sie davon wüsste?«
    »Ja, nun, was?«, röchelte die Köchin erstickt. Dann holte sie aus und schlug Alice mit der flachen Hand auf die Wange. Alice schrie, schreckte zurück und hielt sich die kühlende Handfläche an die brennende Backe. Mrs Gibbons stand drohend über ihr und verdunkelte das Licht.
    »Du hast ein loses Mundwerk, Mädchen.«
    »Ich sage nur die Wahrheit«, presste Alice zwischen schmalen Lippen hervor.
    Sie rechnete mit einer zweiten Backpfeife, aber Mrs Gibbons hatte ihre Fassung zurückgewonnen und trat einen Schritt zurück. Ihr Gesicht war rot und fleckig wie ein Kirschauflauf.
    »Mrs Cunningham schätzt mich sehr. Sie weiß, was sie an mir hat.« Mrs Gibbons Stimme klang zuversichtlich, aber ihre Augen straften den Tonfall Lügen. »Sie würde nie ihre alte Köchin wegen einer solchen Kleinigkeit rauswerfen.«
    »Mr Cunningham schätzt mich sehr«, entgegnete Alice ruhig. »Wie Sie sich sicher erinnern, hat mein Vater ihm das Leben gerettet. Und er könnte mit Ihnen nicht ganz so zufrieden sein wie seine Frau.«
    »Er würde dir nicht glauben.«
    »Wenn Sie meinen«, Alice rang sich ein Lächeln ab – trotz der Schmerzen in der geschwollenen Backe. »Dann bin ich froh, dass Sie nichts dagegen haben, wenn ich ihm die Wahrheit erzähle, Mrs Gibbons. Ich bin nämlich ein ehrliches Mädchen und lüge nicht gern.«
    »Ehrliches Mädchen!« Die Köchin schnaubte verächtlich.
    »Außerdem kann ich durchaus meinen Mund halten«, fuhr Alice fort und tat so, als ob sie nichts gehört hätte. »Ich kann schweigen wie ein Grab, wenn ich gute Gründe dafür habe.«
    Die beiden starrten einander schweigend an. Dann entspannte sich die Köchin langsam und sank in sich

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